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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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hat vor, ein Säuglingsheim zu errichten!«
    ›Alter Hund!‹ dachte Diederich. ›Er spekuliert auf den Tod seines besten Freundes!‹ Gleichzeitig aber kam ihm die Erleuchtung, was er Wulckow vorzuschlagen habe, um Netzig zu erobern!... Er schnaufte.
    »Durchaus nicht, Herr Buck. Mein väterliches Erbstück geb ich nicht her!«
    Da nahm der Alte nochmals seine Hand. »Ich bin kein Versucher«, sagte er. »Ihre Pietät ehrt Sie.«
    ›Esel‹, dachte Diederich.
    »So werden wir uns eben ein anderes Terrain suchen. Ja, vielleicht werden Sie dabei mitwirken. Uneigennützigen Gemeinsinn, lieber Heßling, lassen wir uns nicht entgehen — auch nicht, wenn er einen Augenblick in falscher Richtung zu wirken scheint.« Er stand auf.
    »Wollen Sie Stadtverordneter werden, so haben Sie meine Unterstützung.«
    Diederich starrte, ohne zu begreifen. Die Augen des Alten waren blau und tief, und er bot Diederich eben das Ehrenamt an, um das Diederich seinen Schwiegersohn gebracht hatte. Sollte man nun ausspucken oder sich verkriechen? Diederich zog es vor, die Absätze zusammenzuschlagen und korrekt seinen Dank abzustatten.
    »Sie sehen«, erwiderte der Alte, »der Gemeinsinn schlägt Brücken von jung zu alt und sogar bis zu denen, die nicht mehr da sind.«
    Er führte die Hand im Halbkreis über die Wände und über das Geschlecht von einst, das verblichen und heiter aus ihrer gemalten Tiefe trat. Er lächelte den jungen Mädchen in Reifröcken zu und zugleich auch einer seiner Nichten und Meta Harnisch, die vorübergingen. Wie er das Gesicht dem alten Bürgermeister zuwendete, der zwischen Blumen und Kindern aus dem Stadttor schritt, bemerkte Diederich die große Ähnlichkeit der beiden. Der alte Buck wies auf den und jenen aus der gemalten Versammlung.
    »Von dem da hab ich viel gehört. Diese Dame kannte ich noch. Sieht der Geistliche nicht aus wie Pastor Zillich? Nein, unter uns kann es keine ernstliche Entfremdung geben, wir sind einander seit langem verpflichtet zum guten Willen und gemeinsamen Fortschritt, schon durch jene da, die uns die ›Harmonie‹ hinterließen.«
    ›Nette Harmonie‹, dachte Diederich und sah umher, wie er fortgelange. Der Alte hatte sich, nach seiner Gewohnheit, einen Übergang gemacht von den Geschäften zum sentimentalen Schwatz. ›Immer kommt der Literat heraus‹, dachte Diederich.
    Gerade gingen Guste Daimchen und Inge Tietz vorbei. Guste hatte sich eingehängt, und Inge prahlte mit dem, was sie hinter den Kulissen erlebt hatte. »Unsere Angst, als sie immer sagten: Tee, Kaffee, Kaffee, Tee.« Guste behauptete: »Das nächste Mal schreibt Wolfgang ein viel schöneres Stück, und ich spiele mit.« Da machte Inge sich los, sie bekam eine scheu ablehnende Miene. »So?« sagte sie; und Gustes dickes Gesicht verlor plötzlich seinen harmlosen Eifer. »Warum etwa nicht?« fragte sie, weinerlich empört. »Was hast du nun wieder?«
    Diederich, der es ihr hätte sagen können, wandte sich schleunig zum alten Buck zurück. Der schwatzte weiter.
    »Dieselben Freunde, damals wie jetzt; und auch die Feinde sind da. Schon recht verwischt, der eiserne Ritter, der Kinderschreck dort in seiner Nische am Tor. Don Antonio Manrique, grausamer Reitergeneral, der du im Dreißigjährigen Krieg unser armes Netzig gebrandschatzt hast: Wenn nun nicht die Riekestraße nach dir hieße, wohin wäre dann selbst der letzte Klang von dir verweht?... Auch einer, dem unser Freisinn nicht gefiel und der uns zu vertilgen dachte.«
    Plötzlich schüttelte den Alten ein stilles Kichern. Er nahm Diederich bei der Hand. »Hat er nicht Ähnlichkeit mit unserem Herrn von Wulckow?«
    Diederichs Miene ward hierauf noch korrekter, aber der Alte bemerkte es nicht, er war nun einmal aufgeräumt, ihm fiel noch etwas ein. Er winkte Diederich hinter eine Pflanzengruppe und zeigte ihm an der Wand zwei Figuren, einen jungen Schäfer, der sehnsüchtig die Arme öffnete, und jenseits eines Baches eine Schäferin, die sich anschickte, hinüberzuspringen. Der Alte wisperte: »Was meinen Sie, werden die beiden zueinanderkommen? Das wissen nicht viele mehr. Ich weiß es noch.« Er sah sich um, ob niemand ihn beachte, und plötzlich öffnete er eine kleine Tür, die man nie gefunden haben würde. Die Schäferin auf der Tür bewegte sich dem Liebenden entgegen. Noch ein wenig, und hinter der Tür im Dunkeln mußte sie ihm wohl in den Armen liegen... Der Alte wies in das Zimmer, das er aufgedeckt hatte. »Es heißt das Liebeskabinett.«

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