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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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man auch gerecht beurteilen, denn woher soll die bessere Lebewelt sich ergänzen... Die Adresse? Aber nur Ihnen. Kommt man dann mal nach Berlin, so weiß man doch, woran man ist.« — »Es hätte sogar einen gewissen Reiz«, bemerkte Diederich, in sich hineinblickend; und da Jadassohn sein Gepäck sah, nahmen sie Abschied. »Die Politik hat uns leider etwas auseinandergebracht, aber im Menschlichen findet man sich, Gott sei Dank, wieder. Viel Vergnügen in Paris.«
    »Vergnügen kommt nicht in Frage.« Jadassohn wandte sich um, mit einem Gesicht, als sei er im Begriff, jemand hineinzulegen. Da er Diederichs beunruhigte Miene sah, kam er zurück. »In vier Wochen«, sagte er merkwürdig ernst und gefaßt, »werden Sie es selbst sehn. Vielleicht ist es vorzuziehen, wenn Sie die Öffentlichkeit schon jetzt darauf vorbereiten.« Diederich, ergriffen wider Willen, fragte: »Was haben Sie vor?« Und Jadassohn, bedeutungsschwer, mit dem Lächeln eines opfervollen Entschlusses: »Ich stehe im Begriff, meine äußere Erscheinung in Einklang zu bringen mit meinen nationalen Überzeugungen.« ... Als Diederich den Sinn dieser Worte erfaßt hatte, konnte er nur noch eine achtungsvolle Verbeugung machen; Jadassohn war schon fort. Dahinten flammten, nun er die Halle betrat, seine Ohren noch einmal — das letztemal! — auf, wie zwei Kirchenfenster im Abendschein.
    Auf den Bahnhof zu rückte eine Gruppe von Männern, in deren Mitte eine Standarte schwebte. Einige Schutzleute kamen nicht eben leichtfüßig die Treppe herab und stellten sich ihnen entgegen. Alsbald stimmte die Gruppe die Internationale an. Gleichwohl ward ihr Ansturm von den Vertretern der Macht erfolgreich zurückgeschlagen.
    Mehrere kamen freilich durch und scharten sich um Napoleon Fischer, der, langarmig wie er war, seine bestickte Reisetasche beinahe am Boden schleppte. Beim Büffet erfrischte man sich nach diesen in der Julisonne für die Sache des Umsturzes bestandenen Strapazen. Dann versuchte Napoleon Fischer auf dem Bahnsteig, da der Zug ohnedies Verspätung hatte, eine Ansprache zu halten; aber ein Polizist untersagte es dem Abgeordneten. Napoleon setzte die bestickte Tasche hin und fletschte die Zähne. Wie Diederich ihn kannte, war er im Begriff, einen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu begehen. Zu seinem Glück fuhr der Zug ein — und erst jetzt ward Diederich auf einen untersetzten Herrn aufmerksam, der sich aber abwandte, wenn man um ihn herumging. Er hielt einen großen Blumenstrauß vor sich hin und sah dem Zug entgegen. Diederich kannte doch diese Schultern... Das ging mit dem Teufel zu! Aus einem Coupe grüßte Judith Lauer, ihr Mann half ihr herunter, ja er überreichte ihr den Blumenstrauß, und sie nahm ihn mit dem ernsten Lächeln, das sie hatte. Wie die beiden sich nach dem Ausgang wandten, ging Diederich ihnen schleunigst aus dem Weg, und er schnaufte dabei. Mit dem Teufel ging es nicht zu, Lauers Zeit war einfach herum, er war wieder frei. Nicht, daß von ihm etwas zu fürchten stand, immerhin mußte man sich erst wieder daran gewöhnen, ihn draußen zu wissen... Und mit einem Bouquet holte er sie ab! Wußte er denn nichts? Er hatte doch Zeit gehabt, nachzudenken. Und sie, die zu ihm zurückkehrte, nachdem er fertig gesessen hatte! Es gab Verhältnisse, von denen man sich als anständiger Mensch nichts träumen ließ. Übrigens stand Diederich den Dingen nicht näher als jeder andere; er hatte damals nur seine Pflicht getan. ›Alle werden dieselbe peinliche Empfindung haben wie ich. Man wird ihm allerseits zu verstehen geben, daß er am besten zu Hause bleibt... Denn wie man sich bettet, liegt man.‹ Käthchen Zillich hatte es begriffen und die richtige Folgerung gezogen. Was ihr recht war, konnte gewissen anderen Leuten billig sein, nicht nur dem Herrn Lauer.
    Diederich selbst, der von achtungsvollen Grüßen geleitet durch die Stadt schritt, nahm jetzt auf die natürlichste Weise den Platz ein, den seine Verdienste ihm bereitet hatten. Durch diese harte Zeit hatte er sich nun so weit hindurchgekämpft, daß bloß noch die Früchte zu pflücken waren. Die anderen hatten angefangen, an ihn zu glauben: alsbald kannte auch er keinen Zweifel mehr... Über Gausenfeld liefen neuerdings ungünstige Gerüchte um, und die Aktien fielen. Woher wußte man, daß die Regierung der Fabrik ihre Aufträge entzogen und sie dem Heßlingschen Werk übertragen hatte? Diederich hatte nichts verlauten lassen, aber man wußte es, noch bevor die

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