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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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deren Einfuhr durch einen siegreichen Krieg am sichersten abgestellt worden wäre. Über die Zeitung hinweg sagte Diederich zu Guste: »So wie ich England hasse, hat nur Friedrich der Große dies Volk von Dieben und Händlern gehaßt. Das ist ein Wort Seiner Majestät, und ich unterschreibe es.« Er unterschrieb jedes Wort in jeder Rede des Kaisers, und zwar in der ersten, stärkeren Form, nicht in der abgeschwächten, die sie am Tage darauf annahmen. Alle diese Kernworte deutschen und zeitgemäßen Wesens — Diederich lebte und webte in ihnen, wie in Ausstrahlungen seiner eigenen Natur, sein Gedächtnis bewahrte sie, als habe er sie selbst gesprochen. Manchmal hatte er sie wirklich schon gesprochen. Andere untermischte er bei öffentlichen Gelegenheiten seinen eigenen Erfindungen, und weder er noch ein anderer unterschied, was von ihm kam und was von einem Höheren... »Dies ist süß«, sagte Guste, die das Vermischte las. »Der Dreizack gehört in unsere Faust«, behauptete Diederich unbeirrt, indes Guste ein Erlebnis der Kaiserin zum besten gab, das sie tief befriedigte. In Hubertusstock gefiel sich die hohe Frau in einfacher, beinahe bürgerlicher Kleidung. Ein Briefträger, dem sie sich auf der Landstraße zu erkennen gab, hatte ihr nicht geglaubt, daß sie es sei, und sie ausgelacht. Nachher war er vernichtet auf die Knie gesunken und hatte eine Mark erhalten. Dies entzückte auch Diederich — wie es ihm andererseits an das Herz griff, daß der Kaiser am Weihnachtsabend auf die Straße ging, um mit siebenundfünfzig Mark neugeprägten Geldes den Armen Berlins ein frohes Fest zu bereiten — und wie es ihn ahnungsvoll erschauern ließ, daß Seine Majestät Ehrenbailli des Malteserordens geworden war. Welten, nie geahnt, erschloß der »Lokal-Anzeiger«, und dann wieder brachte er einem die Allerhöchsten Herrschaften gemütlich nahe. Im Erker dort die dreiviertel lebensgroßen Bronzefiguren der Majestäten schienen lächelnd näher zu rücken, und den Trompeter von Säckingen, der sie begleitete, hörte man traulich blasen. »Himmlisch muß es bei Kaisers sein«, meinte Guste, »wenn große Wäsche ist. Sie haben hundert Leute zum Waschen!« Wohingegen Diederich von tiefem Wohlgefallen erfüllt ward durch die Teckel des Kaisers, die vor den Schleppen der Hofdamen keine Achtung zu haben brauchten. Der Plan reifte in ihm, bei seiner nächsten Soiree seinem Manne volle diesbezügliche Freiheit zu erteilen. Freilich, schon auf der folgenden Spalte machte ein Telegramm ihm ernste Sorge, weil es noch immer nicht feststand, ob der Kaiser und der Zar sich treffen würden. »Wenn es nicht bald kommt«, sagte er gewichtig, »müssen wir uns auf alles gefaßt machen. Die Weltgeschichte läßt nicht mit sich spaßen.« Gern hielt er sich länger bei drohenden Katastrophen auf, denn »die deutsche Seele ist ernst, fast tragisch«, stellte er fest.
    Aber Guste zeigte keine Teilnahme mehr, sie gähnte immer häufiger. Unter dem strafenden Blick des Gatten schien sie sich an eine Pflicht zu erinnern, sie machte herausfordernde Schlitzaugen und bedrängte ihn sogar mit ihren Knien. Er wollte noch einen nationalen Gedanken äußern, da sagte Guste mit ungewohnt strenger Stimme: »Quatsch«; Diederich aber, weit entfernt, diesen Übergriff zu bestrafen, blinzelte sie an, als erwartete er noch mehr... Da er sie unten zu umspannen versuchte, verscheuchte sie vollends ihre Müdigkeit, und plötzlich hatte er eine mächtige Ohrfeige — worauf er nichts erwiderte, sondern aufstand und sich schnaufend hinter einen Vorhang drückte. Und als er wieder in das Licht kam, zeigte es sich, daß seine Augen keineswegs blitzten, sondern voll Angst und dunklen Verlangens standen... Dies schien Guste die letzten Bedenken zu nehmen. Sie erhob sich; indes sie in fesselloser Weise mit den Hüften schaukelte, begann sie ihrerseits heftig zu blitzen, und den wurstförmigen Finger gebieterisch gegen den Boden gestreckt, zischte sie: »Auf die Knie, elender Schklafe!« Und Diederich tat, was sie heischte! In einer unerhörten und wahnwitzigen Umkehrung aller Gesetze durfte Guste ihm befehlen: »Du sollst meine herrliche Gestalt anbeten!« — und dann auf den Rücken gelagert, ließ er sich von ihr in den Bauch treten. Freilich unterbrach sie sich inmitten dieser Tätigkeit und fragte plötzlich ohne ihr grausames Pathos und streng sachlich: »Haste genug?« Diederich rührte sich nicht; sofort ward Guste wieder ganz Herrin. »Ich bin die Herrin, du

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