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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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bist der Untertan«, versicherte sie ausdrücklich. »Aufgestanden! Marsch!« — und sie stieß ihn mit ihren Grübchenfäusten vor sich her nach dem ehelichen Schlafgemach. »Freu dich!« verhieß sie ihm schon, da gelang es Diederich, zu entwischen und das Licht abzudrehen. Im Dunkeln, versagenden Herzens, vernahm er, wie Guste dort hinten ihm die wenigst anständigen Namen gab, wobei sie freilich schon wieder gähnte. Etwas später lag sie vielleicht schon und schlief — Diederich aber, noch immer des Äußersten gewärtig, kroch auf allen vieren die Estrade hinan und versteckte sich hinter dem bronzenen Kaiser...
    Regelmäßig nach solchen nächtlichen Phantasien ließ er sich am Morgen das Wirtschaftsbuch vorlegen, und wehe, wenn Gustes Rechnung nicht glatt aufging. Durch ein fürchterliches Strafgericht in Gegenwart aller Dienstboten setzte Diederich ihrem kurzen Machtdünkel, falls sie noch eine Erinnerung daran bewahrte, ein jähes Ende. Autorität und Sitte triumphierten wieder. Auch sonst war dafür gesorgt, daß die ehelichen Beziehungen nicht allzusehr zum Vorteil Gustes ausschlugen, denn jeden zweiten, dritten Abend, manchmal noch öfter, ging Diederich fort — zum Stammtisch in den Ratskeller, wie er sagte, aber das stimmte nicht immer... Am Stammtisch war Diederichs Platz unter einem gotischen Bogen, in dem zu lesen stand: »Je schöner die Kneip, desto schlimmer das Weib, je schlimmer das Weib, desto schöner die Kneip.« Und auch die kernigen alten Sinnsprüche in den übrigen Bogen rächten einen in wohltuender Weise für die Zugeständnisse, die man, durch die Natur genötigt, der Frau daheim zuweilen machte. »Wer nicht liebt Wein und Gesang, verdient ein Weib sein Leben lang«, oder »Behüt euch Gott vor Schmerz und Wunden, vor bösen Weibern und bösen Hunden«. Dagegen las, wer zwischen Jadassohn und Heuteufel die Augen zur Decke erhob: »Friedliche Rast am traulichen Herd, und an der Wand ein schneidiges Schwert. Nach alter Sitt in deutscher Mitt, kommt trinkt euch aller Sorgen quitt.« Was allerseits geschah, ohne Unterschied der Konfession und Partei. Denn auch Cohn und Heuteufel samt ihren näheren Freunden und Gesinnungsgenossen hatten im Lauf der Zeit sich eingefunden, einer nach dem andern und ohne viel Aufsehn, weil es eben auf die Dauer niemandem möglich war, den Erfolg zu bestreiten oder zu übersehen, der den nationalen Gedanken beflügelte und immer höher trug. Das Verhältnis Heuteufels zu seinem Schwager Zillich litt nach wie vor unter Mißhelligkeiten. Zwischen den Weltanschauungen lagen denn doch unübersteigbare Schranken, und »in seine religiösen Überzeugungen läßt sich der Deutsche nicht hineinreden«, wie man auf beiden Seiten feststellte. In der Politik dagegen war bekanntlich jede Ideologie vom Übel. Seinerzeit im Frankfurter Parlament hatten gewiß hochbedeutende Männer gesessen, aber es waren noch keine Realpolitiker gewesen, und darum hatten sie nichts als Unsinn gemacht, wie Diederich bemerkte. Übrigens milde gestimmt durch seine Erfolge, gab er zu, daß das Deutschland der Dichter und Denker vielleicht auch seine Berechtigung gehabt habe. »Aber es war doch nur eine Vorstufe, unsere geistigen Leistungen heute liegen auf dem Gebiet der Industrie und Technik. Der Erfolg beweist.« Heuteufel mußte es zugeben. Seine Äußerungen über den Kaiser, über Wirksamkeit und Bedeutung Seiner Majestät klangen wesentlich zurückhaltender als ehedem; bei jedem neuen Auftreten des Allerhöchsten Redners stutzte er, versuchte zu nörgeln und ließ doch erkennen, daß er am liebsten sich einfach angeschlossen hätte. Der entschiedene Liberalismus, dies ward nachgerade allgemein anerkannt, konnte nur gewinnen, wenn auch er sich mit der Energie des nationalen Gedankens erfüllte, wenn er positiv mitarbeitete und bei zielbewußtem Hochhalten des freiheitlichen Banners doch den Feinden, die uns den Platz an der Sonne nicht gönnten, ein unerbittliches quos ego zurief. Denn nicht nur unser Erbfeind Frankreich erhob immer aufs neue das Haupt: auch die Abrechnung mit den unverschämten Engländern rückte näher! Die Flotte, für deren Ausbau die geniale Propaganda unseres genialen Kaisers unermüdlich wirkte, tat uns bitter not, und unsere Zukunft lag tatsächlich auf dem Wasser, diese Erkenntnis gewann immer mehr an Boden. Rings um den Stammtisch griff die Idee der Flotte Platz und ward zur lodernden Flamme, die, immer neu mit deutschem Wein genährt, ihrem Schöpfer

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