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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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schrie er. »Rauskommen!« Ein junger Arbeiter kroch hervor. »Das Frauenzimmer auch!« schrie Diederich. »Wird's bald?« Und als endlich das Mädchen sich zeigte, stemmte er die Fäuste in die Hüften. Hier ging es ja heiter zu! Seine Fabrik war nicht nur eine Kneipe, sondern noch ganz was anderes! Er zeterte, daß alles zusammenlief. »Na, Herr Sötbier, dies ist wohl auch immer so gemacht worden? Ich gratuliere Ihnen zu Ihren Erfolgen. Also die Leute sind gewohnt, die Arbeitszeit zu benutzen, um sich hinter den Säcken zu amüsieren. Wie kommt der Mann hier herein?« Es sei seine Braut, sagte der junge Mensch. »Braut? Hier gibt es keine Braut, hier gibt es nur Arbeiter. Ihr beide stehlt mir die Arbeitszeit, die ich euch bezahle. Ihr seid Schweine und außerdem Diebe. Ich schmeiß euch raus, und ich zeig euch an, wegen öffentlicher Unzucht!«
    Er sah herausfordernd umher.
    »Deutsche Zucht und Sitte verlang ich hier. Verstanden?« Da traf er den Maschinenmeister. »Und ich werde sie durchführen, auch wenn Sie da ein Gesicht schneiden!« schrie er.
    »Ich habe kein Gesicht geschnitten«, sagte der Mann ruhig. Aber Diederich war nicht länger zu halten. Endlich konnte er ihm etwas nachweisen!
    »Ihr Benehmen ist mir schon längst verdächtig! Sie tun Ihren Dienst nicht, sonst hätte ich die beiden Leute nicht abgefaßt.«
    »Ich bin kein Aufpasser«, warf der Mann dazwischen.
    »Sie sind ein widersetzlicher Bursche, der die ihm unterstellten Leute an Zuchtlosigkeit gewöhnt. Sie arbeiten für den Umsturz! Wie heißen Sie überhaupt?«
    »Napoleon Fischer«, sagte der Mann. Diederich stockte.
    »Nap — Auch das noch! Sie sind Sozialdemokrat?« »Jawohl.«
    »Dachte ich mir. Sie sind entlassen.«
    Er wandte sich nach den Leute um: »Merkt euch das!« — und verließ schroff den Raum. Auf dem Hof lief Sötbier ihm nach. »Junger Herr!« Er war in großer Aufregung und wollte nichts sagen, bevor sie nicht die Tür des Privatkontors hinter sich geschlossen hatten. »Junger Herr«, sagte der Buchhalter, »das geht nicht, der Mann ist ein Organisierter.« — »Deswegen soll er raus«, erwiderte Diederich. Sötbier setzte auseinander, daß das nicht gehe, weil dann alle die Arbeit niederlegen würden. Diederich wollte es nicht begreifen. Waren denn alle organisiert? Nein. Nun also. Aber, erklärte Sötbier, sie hatten Furcht vor den Roten, sogar auf die alten Leute war kein Verlaß mehr.
    »Ich schmeiß sie raus!« rief Diederich. »Samt und sonders, mit Kind und Kegel!«
    »Wenn wir dann nur andere kriegten«, sagte Sötbier und sah unter seinem grünen Augenschirm mit einem dünnen Lächeln dem jungen Herrn zu, der vor Zorn gegen die Möbel anrannte. Er schrie: »Bin ich in meiner Fabrik der Herr oder nicht? Dann will ich doch sehen —«
    Sötbier ließ ihn austoben, dann sagte er: »Herr Doktor brauchen dem Fischer gar nichts zu sagen, er geht uns nicht fort, er weiß ja, daß wir davon zu viele Scherereien hätten.«
    Diederich bäumte sich nochmals auf.
    »So. Ich brauch ihn also nicht zu bitten, daß er die Gnade hat und bleibt? Der Herr Napoleon! Ich brauch ihn nicht für Sonntag zum Mittagessen einzuladen? Es wäre auch zuviel Ehre für mich!«
    Der Kopf war ihm rot angeschwollen, er fand das Zimmer zu eng und riß die Tür auf. Der Maschinenmeister ging eben vorbei. Diederich sah ihm nach, der Haß gab ihm deutlichere Sinneseindrücke als sonst, er bemerkte gleichzeitig die krummen, mageren Beine des Menschen, seine knochigen Schultern mit den Armen, die vornüberhingen — und nun der Maschinenmeister zu den Leuten sprach, sah er seine starken Kiefer arbeiten unter dem dünnen schwarzen Bart. Wie Diederich dies Mundwerk haßte, und diese knotigen Hände! Der schwarze Kerl war längst vorüber, und seine Ausdünstung roch Diederich noch immer.
    »Sehn Sie mal, Sötbier, die Vorderflossen hängen ihm bis an den Boden. Gleich wird er auf allen vieren laufen und Nüsse fressen. Dem Affen werden wir ein Bein stellen, verlassen Sie sich darauf! Napoleon! So ein Name ist allein schon eine Provokation. Aber er soll sich zusammennehmen, denn so viel weiß ich, daß einer von uns beiden —«, Diederich rollte die Augen, »— auf dem Platz bleiben wird.«
    Erhobenen Hauptes verließ er die Fabrik. Im schwarzen Rock machte er sich auf, um den wichtigsten Herren der Stadt die Aufmerksamkeit seines Besuches zu erweisen. Von der Meisestraße konnte er, um zum Bürgermeister Doktor Scheffelweis in die Schweinichenstraße

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