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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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zu gelangen, einfach der Wuchererstraße folgen, die jetzt Kaiser-Wilhelm-Straße hieß. Er wollte es auch; im entscheidenden Augenblick aber, wie auf eine Verabredung, die er vor sich selbst geheimgehalten hätte, bog er dennoch in die Fleischhauergrube ein. Die zwei Stufen vor dem Hause des alten Herrn Buck waren abgewetzt von den Füßen der ganzen Stadt und von den Vorgängern dieser Füße. Der Klingelzug an der gelben Glastür bewirkte drinnen ein langes Rasseln im Leeren. Dann ging dort hinten eine Tür auf, und die alte Magd schlich über die Diele. Aber sie war noch längst nicht angelangt, da trat vorn der Hausherr aus seinem Büro und öffnete selbst. Er zog Diederich, der sich eifrig verbeugte, bei der Hand herein. »Mein lieber Heßling! Ich habe Sie erwartet, man hatte mir Ihre Ankunft berichtet. Willkommen denn in Netzig, mein Herr Doktor.«
    Sofort hatte Diederich Tränen in den Augen und stammelte: »Sie sind zu gütig, Herr Buck. Natürlich habe ich zuerst und vor allem Ihnen, Herr Buck, meine Aufwartung machen wollen und Ihnen versichern, daß ich immer ganz — daß ich immer ganz — zu Ihren Diensten stehe«, schloß er, freudig wie ein guter Schüler. Der alte Herr Buck hielt ihn noch fest, mit seiner Hand, die warm und dennoch leicht und weich war.
    »Dienste —«, er schob Diederich selbst den Sessel zurecht, »die wollen Sie doch natürlich nicht mir leisten, sondern Ihren Mitbürgern — die es Ihnen danken werden. Zum Stadtverordneten werden Ihre Mitbürger Sie in kurzem wählen, das glaube ich Ihnen versprechen zu können, denn damit belohnen sie eine verdiente Familie. Und dann« — der alte Buck beschrieb eine Gebärde feierlicher Freigebigkeit — »verlasse ich mich auf Sie, daß Sie es uns recht bald ermöglichen werden, Sie im Magistrat zu begrüßen.«
    Diederich verbeugte sich, beglückt lächelnd, als werde er schon begrüßt. »Die Gesinnung unserer Stadt«, fuhr Herr Buck fort, »ich sage nicht, daß sie in allen Teilen gut ist —« Er versenkte seinen weißen Knebelbart in die seidene Halsbinde. »Aber noch ist Raum« — der Bart tauchte wieder auf —, »und will's Gott, noch lange, für wahrhaft liberale Männer.«
    Diederich beteuerte: »Ich bin selbstverständlich durchaus liberal.«
    Darauf strich der alte Buck über die Papiere auf seinem Schreibtisch. »Ihr seliger Vater hat mir hier oft gegenübergesessen, und besonders häufig damals, als er die Papiermühle errichtete. Dabei konnte ich ihm zu meiner großen Freude förderlich sein. Es handelte sich um den Bach, der jetzt durch Ihren Hof fließt.«
    Diederich sagte mit tiefer Stimme: »Wie oft, Herr Buck, hat mein Vater mir erzählt, daß er den Bach, ohne den wir gar nicht existieren könnten, nur Ihnen verdankt.«
    »Nur mir, dürfen Sie nicht sagen, sondern den gerechten Zuständen unseres Gemeinwesens, an denen aber —«, der alte Buck erhob seinen weißen Zeigefinger, er sah Diederich tief an, »gewisse Leute und eine gewisse Partei manches ändern würden, sobald sie könnten.« Stärker und mit Pathos: »Der Feind steht vor dem Tore, es heißt zusammenhalten.«
    Er ließ eine Pause verstreichen und sagte in leichterem Ton, sogar mit einem kleinen Schmunzeln: »Sind Sie nicht, mein werter Herr Doktor, in einer ähnlichen Lage wie damals Ihr Vater? Sie wollen sich vergrößern? Sie haben Pläne?«
    »Allerdings.« Und Diederich setzte eifrig auseinander, was alles geschehen müsse. Der Alte hörte ihm aufmerksam zu, er nickte, nahm eine Prise... Endlich sagte er: »Ich sehe so viel, daß der Umbau Ihnen nicht nur große Kosten, sondern unter Umständen auch Schwierigkeiten mit der städtischen Baupolizei verursachen wird — mit der ich übrigens im Magistrat zu tun habe. Nun überzeugen Sie sich, mein lieber Heßling, was hier auf meinem Schreibtisch liegt.« Da erkannte Diederich einen genauen Aufriß seines Grundstückes, samt dem dahinter gelegenen. Sein verblüfftes Gesicht bewirkte bei dem alten Buck ein Lächeln der Genugtuung. »Ich kann wohl dafür sorgen«, sagte er, »daß keine erschwerenden Umstände eintreten.« Und auf Diederichs Danksagungen: »Wir dienen dem großen Ganzen, wenn wir jedem unserer Freunde vorwärtshelfen. Denn die Freunde einer Volkspartei sind alle, außer den Tyrannen.«
    Nach diesen Worten lehnte der alte Buck sich tiefer in den Sessel und faltete die Hände. Seine Miene hatte sich entspannt, er wiegte den Kopf wie ein Großvater. »Als Kind hatten Sie so schöne blonde

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