Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
Jadassohn zu etwas anderem über.
    »Wissen Sie schon, daß in der Regierung und bei uns im Gericht ganz sonderbare Gerüchte umgehen — über das Telegramm Seiner Majestät an den Regimentskommandeur? Der Oberst soll nämlich behaupten, er habe gar kein Telegramm bekommen.«
    Diederich behielt, trotz innerem Erbeben, eine feste Stimme. »Aber es hat doch in der Zeitung gestanden!« Jadassohn grinste zweideutig. »Da steht gar zu viel.« Er ließ sich von Klappsch, der seine Glatze wieder in die Tür schob, die »Netziger Zeitung« bringen. »Sehen Sie, in der Nummer hier steht überhaupt nichts, was nicht auf Seine Majestät Bezug hat. Der Leitartikel beschäftigt sich mit dem Allerhöchsten Bekenntnis zum geoffenbarten Glauben. Dann kommt das Telegramm an den Obersten, dann das Lokale, mit der Heldentat des Postens, und das Vermischte, mit drei Anekdoten über die kaiserliche Familie.«
    »Es sind recht rührende Geschichten«, bemerkte Klappsch und verdrehte die Augen.
    »Zweifellos!« beteuerte Jadassohn, und Diederich: »Sogar so ein freisinniges Hetzblatt muß die Bedeutung Seiner Majestät anerkennen!«
    »Aber bei dem löblichen Eifer wäre es schließlich möglich, daß die Redaktion die Allerhöchste Depesche eine Nummer zu früh gebracht hat — noch vor ihrer Absendung.« — »Ausgeschlossen!« entschied Diederich. »Der Stil Seiner Majestät ist unverkennbar.« Auch Klappsch wollte ihn erkennen. Jadassohn gab zu: »Nun ja... Weil man nie wissen kann, darum dementieren wir auch nicht. Wenn der Oberst nichts bekommen hat, die ›Netziger Zeitung‹ könnte es ja direkt aus Berlin haben. Wulckow hat sich den Redakteur Nothgroschen kommen lassen, aber der Kerl verweigert die Aussage. Der Präsident hat gespuckt, er ist selbst zu uns gekommen wegen des Zeugniszwangsverfahrens gegen Nothgroschen. Schließlich haben wir davon abgesehen und warten lieber das Dementi aus Berlin ab — weil man eben nicht wissen kann.«
    Da Klappsch in die Küche gerufen ward, setzte Jadassohn noch hinzu: »Komisch, wie? Allen kommt die Geschichte verdächtig vor, aber niemand will vorgehen, weil in diesem Fall — in diesem ganz besonderen Fall —«, sagte Jadassohn mit perfider Betonung, und seine ganze Miene, sogar die Ohren sahen perfid aus, »grade das Unwahrscheinliche am meisten Aussicht hat, Ereignis zu werden.«
    Diederich war starr: nie hätte ihm so schwarzer Verrat geträumt. Jadassohn bemerkte sein Entsetzen und verwirrte sich, er fing an zu zappeln. »Nu, der Mann hat seine Schwächen — Ihnen gesagt.«
    Diederich versetzte, fremd und drohend: »Gestern abend schienen Sie davon noch nichts zu wissen.« Jadassohn entschuldigte sich: der Sekt mache natürlich unkritisch. Ob Herr Doktor Heßling denn die Begeisterung der übrigen Herren so ernst genommen habe. Einen größeren Nörgler als den Major Kunze gebe es überhaupt nicht... Diederich zog sich mit seinem Stuhl zurück, ihm ward kalt, als finde er sich plötzlich in einer Verbrecherhöhle. Mit äußerster Energie sagte er: »Auf die nationale Gesinnung der übrigen Herren hoffe ich mich ebenso verlassen zu können wie auf meine eigene, an der zu zweifeln ich mir auf das allerbestimmteste verbitten müßte.«
    Jadassohn hatte seine schneidige Stimme zurück. »Soll das etwa einen Zweifel in bezug auf meine Person involvieren, so weise ich ihn mit gebührender Entrüstung zurück.« Krähend, so daß Klappsch in die Tür spähte: »Ich bin der Königliche Assessor Doktor Jadassohn und stehe auf Wunsch zur Verfügung.«
    Darauf mußte Diederich wohl murmeln, daß er es so nicht gemeint habe. Dann aber zahlte er. Die Verabschiedung war kühl.
    Auf dem Heimwege schnaufte Diederich. Hätte er sich nicht entgegenkommender verhalten sollen mit Jadassohn? Für den Fall, daß Nothgroschen redete? Jadassohn hatte ihn freilich nötig, in dem Prozeß gegen Lauer! Auf alle Fälle war es gut, daß Diederich jetzt Bescheid wußte über den wahren Charakter dieses Herrn! ›Seine Ohren sind mir gleich verdächtig vorgekommen! Wirklich national empfinden kann man eben doch nicht mit solchen Ohren.‹
    Zu Hause nahm er sogleich den »Berliner Lokal-Anzeiger« vor. Da waren schon die Kaiseranekdoten für die »Netziger Zeitung« von morgen. Vielleicht kamen sie auch erst übermorgen, für alle war dort nicht Platz. Aber er suchte weiter; seine Hände zitterten... Da! Er mußte sich setzen. »Ist dir was, mein Sohn?« fragte Frau Heßling. Diederich starrte die Buchstaben an, wie

Weitere Kostenlose Bücher