Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
Diederich zu seiner peinlichen Verwunderung, er habe vor dem Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Fritzsche die bestimmte Angabe gemacht, daß von seiten des Angeklagten eine schwere Beleidigung Seiner Majestät des Kaisers gefallen sei. Was er darüber zu äußern habe. »Es kann wohl sein«, stammelte er; »aber es waren viele Herren da. Ob es nun gerade der Angeklagte war, der das gesagt hat...« Sprezius beugte sich über den Richtertisch. »Denken Sie nach, Sie stehen hier unter Ihrem Eid. Andere Zeugen werden bekunden, daß Sie ganz allein auf den Angeklagten zugetreten sind und das betreffende Gespräch mit ihm geführt haben.« — »War ich das?« fragte Diederich, rot übergossen. Da lachte unaufhaltsam der ganze Saal; Jadassohn sogar verzog das Gesicht zu einem verachtungsvollen Feixen. Sprezius hatte schon den Mund geöffnet, um loszufahren: aber Wolfgang Buck stand auf. Sein weiches Gesicht ward mit einem sichtbaren Ruck energisch, und er fragte Diederich: »Sie waren an dem Abend wohl stark angetrunken?« Sofort fielen Staatsanwalt und Vorsitzender über ihn her. »Ich beantrage, die Frage nicht zuzulassen!« rief Jadassohn schrill. »Herr Verteidiger«, krächzte Sprezius, »Sie haben nur mir die Frage vorzulegen; ob ich sie dann an den Zeugen richte, ist meine Sache!« Aber die beiden, Diederich sah es staunend, hatten einen entschlossenen Gegner gefunden. Wolfgang Buck stand da, mit klangvoller Rednerstimme beanstandete er das Verhalten des Vorsitzenden, das die Rechte der Verteidigung verletze, und beantragte Gerichtsbeschluß darüber, ob ihm gemäß der Strafprozeßordnung das direkte Fragerecht an den Zeugen zustehe. Sprezius hackte vergeblich zu, es blieb ihm nichts übrig, als mit den vier Richtern rückwärts im Beratungszimmer zu verschwinden. Buck sah sich triumphierend um; seine Cousinen bewegten die Hände wie zum Applaus; aber auch sein Vater war inzwischen eingetreten, und man sah, wie der alte Buck seinem Sohn ein Zeichen der Mißbilligung gab. Der Angeklagte seinerseits, zornige Erregung im apoplektischen Gesicht, schüttelte seinem Verteidiger die Hand. Diederich, der allen Blicken ausgesetzt war, gab sich Haltung und hielt Umschau. Aber ach, Guste Daimchen wich ihm aus! Nur der alte Buck winkte wohlwollend: Diederichs Aussage hatte ihm gefallen. Er bemühte sich sogar aus der engen Tribüne heraus, um Diederich seine weiche, weiße Hand zu geben. »Ich danke Ihnen, lieber Freund«, sagte er. »Sie haben die Sache so behandelt, wie sie es verdient.« Und Diederich in seiner Verlassenheit bekam feuchte Augen angesichts der Güte des großen Mannes. Erst nachdem Herr Buck sich wieder auf seinen Platz begeben hatte, fiel es Diederich ein, daß er ihm hier ja die Geschäfte besorgte! Und auch sein Sohn Wolfgang war durchaus nicht so schlapp, wie Diederich gedacht hatte. Die politischen Gespräche hatte er augenscheinlich nur geführt, um sie hier gegen ihn auszunutzen. Treue, wahre deutsche Treue, die gab es in der Welt nicht, auf niemand konnte man sich verlassen. ›Soll ich mich hier noch lange von allen Seiten anöden lassen?‹
    Zum Glück kehrte der Gerichtshof zurück. Der alte Kühlemann wechselte mit dem alten Buck einen bedauernden Blick, und Sprezius verlas, mit merklicher Selbstbeherrschung, den Beschluß. Ob der Verteidiger das Recht der direkten Fragestellung habe, blieb unentschieden, denn die Frage selbst: War der Zeuge damals betrunken gewesen? ward als nicht zur Sache gehörig abgelehnt. Darauf fragte der Vorsitzende, ob der Herr Staatsanwalt noch eine Frage an den Zeugen zu richten habe. »Vorläufig nicht«, sagte Jadassohn, mit Geringschätzung, »aber ich beantrage, den Zeugen noch nicht zu entlassen.« Und Diederich durfte sich setzen. Jadassohn erhob die Stimme. »Außerdem beantrage ich die sofortige Vorladung des Untersuchungsrichters Doktor Fritzsche, der darüber aussagen soll, wie die Gesinnung des Zeugen Heßling gegen den Angeklagten früher war.« Diederich erschrak — im Zuschauerraum aber wandte man sich nach Judith Lauer um: sogar die beiden Assessoren am Richtertisch sahen hin... Jadassohn bekam bewilligt, was er wollte.
    Dann wurde Pastor Zillich herbeigeholt, vereidigt und sollte seinerseits über die kritische Nacht berichten. Er erklärte, die Eindrücke hätten sich damals überstürzt und sein christliches Gewissen schwer bedrängt, denn just an jenem Abend sei in den Straßen von Netzig Blut geflossen, wenn auch zu einem patriotischen Zweck.

Weitere Kostenlose Bücher