Der Untertan
er uns vernichten.« Aber Frau Lauer lachte nicht, sie erwiderte auch Diederichs Gruß nicht, sie sah ihn nur an mit rücksichtsloser Neugier. Es war schwer, diesen dunklen Blick auszuhalten, und ward noch schwerer, weil sie so schön war. Diederich fühlte, wie das Blut ihm ins Gesicht trat, seine Augen irrten ab, er stammelte: »Der Herr Rechtsanwalt scherzt wohl. In der Sache muß ein Irrtum vorliegen...« Da zogen in dem weißen Gesicht die Brauen sich zusammen, die Mundwinkel sanken ausdrucksvoll herab, und Judith Lauer wandte Diederich den Rücken.
Ein Gerichtsdiener zeigte sich; Wolfgang Buck ging, seinen Schwager Lauer zur Seite, in das Verhandlungszimmer; und da die Tür nicht eben freigebig geöffnet ward, stießen alle einander in Hast hindurch, das minder gute Publikum ward von dem besten überwältigt. Die Unterröcke der fünf Schwestern Buck rauschten heftig bei dem Kampf. Diederich gelangte als letzter hinein und mußte sich auf der Zeugenbank neben den Major Kunze setzen, der sofort ein Stück wegrückte. Landgerichtsdirektor Sprezius, anzusehen wie ein alter wurmiger Geier, erklärte von dort oben die Sitzung für eröffnet und rief die Zeugen auf, um ihnen den Ernst des Eides in Erinnerung zu bringen — wobei Diederich sofort ein Gesicht bekam wie ehemals in der Religionsstunde. Landgerichtsrat Harnisch ordnete Akten und sah sich im Publikum nach seiner Tochter um. Mehr beachtet ward der alte Landgerichtsrat Kühlemann, der das Krankenzimmer verlassen und seinen Platz zur Linken des Vorsitzenden eingenommen hatte. Man fand ihn schlecht aussehen, die Schwiegermutter des Bürgermeisters wollte wissen, er werde sein Reichstagsmandat niederlegen — und wohin ging das viele Geld, wenn er starb? Bei den Zeugen drückte Pastor Zillich die Hoffnung aus, der Alte werde seine Millionen für einen Kirchenbau bestimmen; aber Professor Kühnchen bezweifelte es, mit durchdringender Flüsterstimme. »Der gibt auch nach 'm Tode nischt her, der hat immer gedacht, man muß das Seine zusammennahm und womöglich den andern ihrs auch...« Da entließ der Vorsitzende die Zeugen aus dem Sitzungssaal.
Sie fanden sich, da kein Zeugenzimmer vorhanden war, im Korridor wieder zusammen. Die Herren Heuteufel, Cohn und Buck junior nahmen eine Fensternische ein; Diederich, unter dem wütenden Blick des Majors, dachte peinvoll: ›Jetzt wird der Angeklagte vernommen. Wüßte ich, was er sagt. Ich möchte ihn ebenso gern entlasten wie ihr!‹ Vergebens versuchte er gegenüber Pastor Zillich seine milde Gesinnung zu beteuern: er habe immer gesagt, die Sache sei aufgebauscht worden. Zillich wandte sich verlegen weg, und Kühnchen pfiff, davonlaufend, durch die Zähne: »Na warte nur, mein Schibbchen, dir wer'n mer das Handwerk legen.« Stumm lastete die allgemeine Mißbilligung auf Diederich. Endlich erschien der Gerichtsdiener. »Herr Doktor Heßling!«
Diederich riß sich zusammen, um nur in kommentmäßiger Haltung an den Zuschauern vorbeizukommen. Er sah krampfhaft geradeaus; der Blick der Frau Lauer lag jetzt auf ihm! Er schnaufte, und er schwankte ein wenig. Links neben dem Beisitzer, der seine Nägel betrachtete, stand drohend aufgerichtet Jadassohn. Das Licht des Fensters hinter ihm schien durch seine abstehenden Ohren, die blutig leuchteten, und seine Miene heischte von Diederich eine so leichenhafte Gefügigkeit, daß Diederichs Blick die Flucht ergriff. Rechts, vor dem Angeklagten und etwas tiefer, fand er Wolfgang Buck sitzen, nachlässig, mit den Fäusten auf den fetten Schenkeln, von denen die Robe zurückfiel, und so gescheit und aufmunternd anzusehen, als vertrete er den Geist des Lichts. Landgerichtsdirektor Sprezius sprach Diederich die Eidesformel vor, immer nur zwei Worte zur Zeit und mit Herablassung. Diederich schwor folgsam; dann sollte er den Hergang der Dinge an jenem Abend im Ratskeller berichten. Er begann: »Wir waren eine angeregte Gesellschaft, drüben am Tisch saßen auch Herren...«
Da er schon steckenblieb, ward im Publikum gelacht. Sprezius fuhr auf, er hackte mit dem Geierschnabel zu und drohte, er werde den Saal räumen lassen. »Sonst wissen Sie nichts?« fragte er unwirsch. Diederich gab zu bedenken, infolge geschäftlicher und anderer Aufregungen hätten sich ihm die Vorgänge inzwischen etwas verwirrt. »Dann werde ich Ihnen zur Auffrischung des Gedächtnisses Ihre Aussage vor dem Untersuchungsrichter vorlesen« — und der Vorsitzende ließ sich das Protokoll reichen. Daraus erfuhr
Weitere Kostenlose Bücher