Der Untertan
Antwort stammelte. Jadassohns Kühnheit machte Eindruck. Unverweilt nutzte er seinen Erfolg aus und erreichte von Kunze, daß er zugab, die Entrüstung der Nationalgesinnten über Lauers Äußerungen sei echt gewesen, auch seine eigene. Zweifellos habe der Angeklagte Seine Majestät gemeint. — Hier hielt Wolfgang Buck sich nicht mehr. »Da der Herr Vorsitzende unnötig findet, es zu rügen, wenn der Herr Staatsanwalt seine eigenen Zeugen beleidigt, kann es auch uns gleich sein.« Sofort hackte Sprezius nach ihm. »Herr Verteidiger! Das ist meine Sache, was ich rüge und was nicht!« — »Eben das stelle ich fest«, fuhr Buck unbeirrt fort. »Zur Sache selbst behaupten wir nach wie vor und werden durch Zeugen beweisen, daß der Angeklagte den Kaiser gar nicht gemeint hat.« — »Ich habe mich gehütet!« rief der Angeklagte dazwischen. Buck fuhr fort: »Sollte dies dennoch als wahr unterstellt werden, so beantrage ich, den Herausgeber des Gothaischen Almanachs darüber als Sachverständigen zu vernehmen, welche deutschen Fürsten jüdisches Blut haben.« Damit setzte er sich wieder, befriedigt von dem Rauschen der Sensation, das durch den Saal ging. Ein dröhnender Baß sagte: »Unerhört!« Sprezius wollte schon loshacken, sah aber noch rechtzeitig, wer es gewesen war: Wulckow! Sogar Kühlemann war davon erwacht. Der Gerichtshof steckte die Köpfe zusammen, dann verkündete der Vorsitzende, der Antrag des Verteidigers werde abgelehnt, da ein Wahrheitsbeweis nicht zulässig sei. Kundgebung der Mißachtung genüge zum Tatbestand des Delikts. Buck war geschlagen; seine feisten Wangen senkten sich, in kindlicher Traurigkeit. Es ward gekichert, die Schwiegermutter des Bürgermeisters lachte ungeniert. Diederich auf seiner Zeugenbank war ihr dankbar. Er fühlte, angstvoll lauschend, wie die öffentliche Meinung einlenkte und ganz leise denen näherkam, die geschickter waren und die Macht hatten. Er tauschte einen Blick mit Jadassohn.
Der Redakteur Nothgroschen war dran. Grau und unauffällig war er plötzlich da und funktionierte glatt, wie ein Aussagebeamter. Jeder, der ihn kannte, wunderte sich: so sicher hatte er ihn nie gesehen. Er wußte alles, belastete den Angeklagten auf das schwerste und redete fließend, als sage er einen Leitartikel her; höchstens, daß zwischen den Absätzen der Vorsitzende ihm das Stichwort gab, mit Anerkennung, wie einem Musterschüler. Buck, der sich erholt hatte, hielt ihm die Stellungnahme der »Netziger Zeitung« für Lauer vor. Darauf erwiderte der Redakteur: »Wir sind ein liberales, also unparteiisches Blatt. Wir geben die Stimmung wieder. Da aber jetzt und hier die Stimmung dem Angeklagten ungünstig ist —« Er mußte sich draußen im Korridor darüber informiert haben! Buck nahm eine ironische Stimme an. »Ich stelle fest, daß der Zeuge eine etwas sonderbare Auffassung seiner Eidespflicht bekundet.« Aber Nothgroschen war nicht einzuschüchtern. »Ich bin Journalist«, erklärte er, und er setzte hinzu: »Ich bitte den Herrn Vorsitzenden, mich vor Beleidigungen des Verteidigers zu schützen.« Sprezius ließ sich nicht bitten; und er entließ den Redakteur in Gnaden.
Es schlug zwölf; Jadassohn machte den Vorsitzenden aufmerksam, daß der Untersuchungsrichter Doktor Fritzsche sich zur Verfügung des Gerichts halte. Er ward aufgerufen — und kaum daß er sich in der Tür zeigte, gingen alle Augen hin und her zwischen ihm und Judith Lauer. Sie war noch bleicher geworden, der schwarze Blick, der ihn zum Richtertisch begleitete, vergrößerte sich noch, er bekam etwas stumm Eindringliches; aber Fritzsche vermied ihn. Auch ihn fand man schlecht aussehen, sein Schritt dagegen bekundete Entschlossenheit. Diederich stellte fest, daß er von seinen zwei Gesichtern für diese Gelegenheit das trockene gewählt hatte.
Welche Eindrücke er während der Voruntersuchung von dem Zeugen Heßling gewonnen habe? Der Zeuge hatte seine Aussage durchaus freiwillig und selbständig gemacht, in Form einer durch das frische Erlebnis noch bewegten Auseinandersetzung. Die Zuverlässigkeit des Zeugen, die Fritzsche an der Hand seiner ferneren Ermittelungen hatte nachprüfen können, stand außer allem Zweifel. Daß der Zeuge heute kein deutliches Erinnerungsbild mehr hatte, war nur durch die Erregung des Augenblicks zu erklären... Und der Angeklagte? — Hier hörte man den Saal aufhorchen. Fritzsche schluckte hinunter. Auch der Angeklagte hatte persönlich einen eher günstigen Eindruck auf ihn
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