Der Untertan
gemacht, trotz der vielen belastenden Momente.
»Halten Sie, bei widerstreitenden Zeugenaussagen, den Angeklagten des ihm zur Last gelegten Delikts fähig?« fragte Sprezius.
Fritzsche erwiderte: »Der Angeklagte ist ein gebildeter Mann; ausdrücklich beleidigende Worte zu gebrauchen, wird er sich gehütet haben.«
»Das sagt der Angeklagte selbst«, bemerkte der Vorsitzende streng. Fritzsche sprach schneller. Der Angeklagte war durch seine bürgerliche Wirksamkeit gewöhnt, Autorität mit fortschrittlichen Neigungen zu verbinden. Er hielt sich offenbar für einsichtsvoller und zur Kritik berechtigter als die meisten andern Menschen. Es war also denkbar, daß er in gereiztem Zustand — und durch die Erschießung des Arbeiters von seiten des Wachtpostens hatte er sich gereizt gefühlt — seinen politischen Anschauungen einen Ausdruck gab, der, ob äußerlich vielleicht auch einwandfrei, die beleidigende Absicht hindurchschimmern ließ.
Hier sah man den Vorsitzenden und den Staatsanwalt aufatmen. Die Landgerichtsräte Harnisch und Kühlemann warfen Blicke auf das Publikum, durch das eine lebhafte Bewegung ging. Der Assessor links besah auch jetzt noch seine Nägel; der rechts aber, ein junger Mann mit nachdenklichem Gesicht, beobachtete den Angeklagten, den er gleich vor sich hatte. Die Hände des Angeklagten waren krampfig um die Brüstung seiner Bank gespannt, und die Augen, hervortretende braune Augen, richtete er auf seine Frau. Sie aber sah unverwandt auf Fritzsche, halbgeöffneten Mundes, wie abwesend, mit einem Ausdruck von Leiden, Scham und Schwäche. Die Schwiegermutter des Bürgermeisters äußerte deutlich: »Und zwei Kinder hat sie zu Hause.« Plötzlich schien Lauer das Geflüster um ihn her zu bemerken, alle diese Blicke, die wegsahen, wenn er sie streifte. Er sank zusammen, sein stark gerötetes Gesicht entleerte sich so jäh vom Blut, daß der junge Assessor erschreckt auf seinem Stuhl rückte.
Diederich, dem es immer wohler ward, war wahrscheinlich der einzige, der dem Dialog zwischen dem Vorsitzenden und dem Untersuchungsrichter noch folgte. Dieser Fritzsche! Niemandem, auch Diederich selbst nicht, war die Sache aus guten Gründen anfangs peinlicher gewesen. Hatte er nicht auf Diederich als Zeugen eine nahezu pflichtwidrige Einwirkung geübt? Und das protokollierte Ergebnis von Diederichs Aussage war nun dennoch schwer belastend, und Fritzsches eigenes Zeugnis erst recht. Er war nicht weniger rücksichtslos vorgegangen als Jadassohn. Seine engen und besonderen Beziehungen zum Hause Lauer hatten keineswegs vermocht, ihn der Aufgabe zu entfremden, die ihm oblag, dem Schutze der Macht. Nichts Menschliches hielt stand vor der Macht. Welche Lehre für Diederich! ...Auch Wolfgang Buck empfing sie, auf seine Art. Von unten betrachtete er Fritzsche, mit einer Miene, als müßte er sich erbrechen.
Wie der Untersuchungsrichter mit Drehungen des Körpers, die nicht unbefangen wirkten, auf den Ausgang zusteuerte, ward lauter geflüstert. Die Schwiegermutter des Bürgermeisters sagte, mit dem Lorgnon nach der Frau des Angeklagten zielend: »Eine nette Gesellschaft!« Man widersprach ihr nicht; man hatte angefangen, die Lauers ihrem Schicksal zu überlassen. Guste Daimchen biß sich auf die Lippe, Käthchen Zillich schickte einen raschen Senkblick zu Diederich. Doktor Scheffelweis beugte sich hinüber zu dem Haupt der Familie Buck, drückte ihm die Hand und sagte süß: »Ich hoffe, lieber Freund und Gönner, alles wird noch gut.«
Der Vorsitzende befahl dem Gerichtsdiener: »Lassen Sie mal den Zeugen Cohn rein!« Die Reihe war an den Entlastungszeugen! Der Vorsitzende schnupperte in die Luft. »Hier riecht es aber schlecht«, bemerkte er. »Krecke, machen Sie hinten ein Fenster auf!« Und er suchte mit den Augen unter dem minder guten Publikum, das dort oben enggedrängt saß. Dagegen war auf den unteren Bänken freier Raum, und der freieste um den Regierungspräsidenten von Wulckow in seiner verschwitzten Jagdjoppe... Das geöffnete Fenster, durch das es eisig hereinblies, bewirkte Murren unter den auswärtigen Journalisten, die dort hinten verstaut saßen. Aber Sprezius richtete nur den Schnabel gegen sie: da duckten sie sich in ihre Rockkragen.
Jadassohn sah siegesgewiß dem Zeugen entgegen. Sprezius ließ ihn eine Weile reden, dann räusperte Jadassohn sich; er hielt einen Akt in der Hand. »Zeuge Cohn«, begann er, »Sie sind Inhaber des unter Ihrem Namen bestehenden Warenhauses seit 1889?« Und
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