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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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»Das gehört nicht hierher!« entschied Sprezius — und eben jetzt betrat den Saal der Regierungspräsident Herr von Wulckow, im Jagdanzug, mit großen, kotigen Stiefeln. Alles sah sich um, der Vorsitzende machte auf seinem Sitz eine Verbeugung, und Pastor Zillich zitterte. Vorsitzender und Staatsanwalt drangen abwechselnd auf ihn ein. Jadassohn sagte sogar, mit einem Ausdruck von entsetzlicher Hinterhältigkeit: »Herr Pastor, Sie als Geistlichen brauche ich auf die Heiligkeit des Eides, den Sie geleistet haben, nicht besonders aufmerksam zu machen.« Da knickte Zillich ein und gab zu, daß er die dem Angeklagten vorgeworfene Äußerung allerdings gehört habe. Der Angeklagte sprang auf und schlug mit der Faust auf die Bank. »Ich habe den Namen des Kaisers gar nicht genannt! Ich habe mich gehütet!« Sein Verteidiger beruhigte ihn mit einem Wink und sagte: »Wir werden den Beweis erbringen, daß nur die provokatorische Absicht des Zeugen Doktor Heßling den Angeklagten zu seinen hier falsch wiedergegebenen Äußerungen veranlaßt hat.« Vorläufig bitte er den Herrn Vorsitzenden, den Zeugen Zillich darüber zu befragen, ob er nicht eine Predigt gehalten habe, die ausdrücklich gegen die Hetzereien des Zeugen Heßling gerichtet gewesen sei. Pastor Zillich stammelte, er habe nur im allgemeinen zum Frieden geraten und damit seiner Pflicht als Vertreter der Religion genügt. Jetzt wollte Buck etwas anderes wissen. »Hat nicht der Zeuge Zillich neuerdings ein Interesse daran, sich mit dem Hauptbelastungszeugen Doktor Heßling gut zu stellen, weil nämlich seine Tochter —« Schon fuhr Jadassohn dazwischen: er protestiere gegen die Stellung der Frage. Sprezius rügte sie als unzulässig, und auf der Tribüne entstand ein mißbilligendes Gemurmel weiblicher Stimmen. Der Regierungspräsident beugte sich über die Bank zum alten Buck und sagte deutlich: »Ihr Sohn macht ja nette Zicken!«
    Inzwischen war der Zeuge Kühnchen aufgerufen. Der kleine Greis stürmte in den Saal, seine Brillengläser funkelten; schon von der Tür schrie er seine Personalien herüber, und die Eidesformel sagte er geläufig her, ohne sie sich vorsprechen zu lassen. Dann aber war er zu keiner anderen Aussage zu bewegen, als daß an jenem Abend die Wogen der nationalen Begeisterung hochgegangen seien. Zuerst die glorreiche Tat des Postens! Dann der herrliche Brief Seiner Majestät, mit dem Bekenntnis zum positiven Christentum! »Wie der Krach war mit dem Angeklagten? Ja, meine Herren Richter, davon weeß 'ch Sie nischt. Da hab 'ch grade ä bißchen geschlummert.« — »Aber nachher ist doch von der Sache geredet worden!« verlangte der Vorsitzende. »Ich nicht!« rief Kühnchen. »Ich hab eegal von unsern glorreichen Taten im Jahre siebzig geredt. Die Franktiröhrs! hab 'ch gesagt, das war Sie eene Bande! Mein steifer Finger, da hat mich ä Franktiröhr draufgebissen, bloß weil ich ihm mit meim Säbel ä kleenes bißchen die Kehle abschneiden wollte! So eene Gemeinheit von dem Kerl!« Und Kühnchen wollte den Finger am Richtertisch umherzeigen. »Abtreten!« krächzte Sprezius; und er drohte wieder einmal mit der Räumung des Saals.
    Major Kunze trat auf: steif, wie auf Rädern, und den Eid leistete er in einem Ton, als stieße er gegen Sprezius schwere Beleidigungen aus. Darauf erklärte er kurzweg, daß er mit dem ganzen Geserres nichts zu tun habe; er sei erst später in den Ratskeller gekommen. »Ich kann nur sagen, das Verhalten des Herrn Doktor Heßling riecht mir nach Denunziantentum.«
    Aber seit einer Weile roch es im Saal nach etwas anderem. Niemand wußte, woher es kam, auf der Tribüne mißtraute man einander und rückte, das Taschentuch am Munde, diskret vom Nachbar ab. Der Vorsitzende schnupperte in die Luft, und der alte Kühlemann, dessen Kinn schon längst auf seiner Brust lag, rührte sich im Schlaf.
    Wie Sprezius ihm vorhielt, die Herren, die ihm damals die Vorgänge berichtet hätten, seien doch nationale Männer gewesen, erwiderte der Major nur, das sei ihm gleich, den Herrn Doktor Heßling habe er gar nicht gekannt. Da aber trat Jadassohn vor; seine Ohren funkelten; mit einer Stimme wie ein Messer sagte er: »Herr Zeuge, ich richte an Sie die Frage, ob Sie den Angeklagten nicht vielleicht um so besser kennen. Wollen Sie sich darüber äußern, ob er Ihnen nicht noch vor acht Tagen hundert Mark geliehen hat.« Vor Schrecken ward es ganz still im Saal, und alles starrte auf den Major in Uniform, der dastand und an seiner

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