Der Untertan
mustergültigen Zuständen im Hause Lauer hohes Lob spendete. Jadassohn trank die Worte des Zeugen, bebend vor Ungeduld. Endlich konnte er, mit namenlosem Triumph in der Stimme, seine Frage stellen. »Will der Zeuge sich auch darüber äußern, welcher Art die Weiber sind, aus deren Bekanntschaft er persönlich die Kenntnis des Familienlebens schöpft, und ob er nicht in einem gewissen Hause verkehrt, das im Volksmund Klein-Berlin heißt?« Und noch im Sprechen vergewisserte er sich, daß die Damen im Publikum, und gleich ihnen die Richter, tief verletzte Gesichter bekamen. Der Hauptentlastungszeuge war vernichtet! Heuteufel versuchte noch zu antworten: »Der Herr Staatsanwalt wird es wissen. Wir sind uns dort wohl begegnet.« Aber das diente nur dazu, daß Sprezius ihm eine Ordnungsstrafe von fünfzig Mark auferlegen konnte. »Der Zeuge hat im Saal zu bleiben«, entschied der Vorsitzende schließlich. »Das Gericht braucht ihn noch zur weiteren Aufklärung des Tatbestandes.« Heuteufel äußerte: »Ich meinerseits bin aufgeklärt über den Betrieb hier und würde es vorziehen, das Lokal zu verlassen.« Sofort wurden aus den fünfzig Mark hundert.
Wolfgang Buck sah sich unruhig um. Seine Lippen schienen die Stimmung im Saal zu schmecken, sie verzogen sich, als äußerte sich die Stimmung in diesem merkwürdigen Geruch, der, seit das Fenster geschlossen war, sich wieder gelagert hatte. Buck sah die Sympathien, die ihn hereinbegleitet hatten, zersprengt und abgestumpft, seine Kampfmittel unnütz verbraucht; und das Gähnen der vom Hunger in die Länge gezogenen Gesichter, die Ungeduld der Richter, die nach der Uhr schielten, verhieß ihm nichts Gutes. Er sprang auf; retten, was zu retten war! Und er machte seine Stimme energisch, um die Vorladung weiterer Zeugen für die Nachmittagssitzung zu beantragen. »Da der Herr Staatsanwalt es zum System erhebt, die Glaubwürdigkeit unserer Zeugen zu bezweifeln, sind wir bereit, den guten Leumund des Angeklagten zu beweisen durch die Aussagen der ersten Männer von Netzig. Kein Geringerer als Herr Bürgermeister Doktor Scheffelweis wird dem Gericht die bürgerlichen Verdienste des Angeklagten bezeugen. Der Herr Regierungspräsident von Wulckow wird nicht umhinkönnen, ihm seine staatsfreundliche und kaisertreue Gesinnung zu bestätigen.«
»Nanu«, sagte da hinten aus dem freien Raum der dröhnende Baß. Buck strengte seine Stimme an.
»Für die sozialen Tugenden des Angeklagten aber werden seine sämtlichen Arbeiter eintreten.«
Und Buck setzte sich, hörbar keuchend. Jadassohn bemerkte kalt: »Der Herr Verteidiger beantragt eine Volksabstimmung.« Die Richter berieten flüsternd; und Sprezius verkündete: das Gericht gebe nur dem Antrage des Verteidigers statt, der sich auf die Vernehmung des Bürgermeisters Doktor Scheffelweis beziehe. Da der Bürgermeister im Saal war, wurde er sogleich aufgerufen.
Er arbeitete sich aus seiner Bank heraus. Frau und Schwiegermutter hielten ihn von beiden Seiten fest und gaben ihm hastig Forderungen mit, die einander widersprechen mußten, denn der Bürgermeister langte sichtlich verstört am Richtertisch an. Welche Gesinnung der Angeklagte in der bürgerlichen Öffentlichkeit betätigte? Doktor Scheffelweis wußte Gutes darüber zu bekunden. So hatte der Angeklagte sich in den städtischen Kollegien eingesetzt für die Wiederherstellung des altberühmten Pfaffenhauses, wo die Haare aufbewahrt wurden, die bekanntlich Doktor Martin Luther dem Teufel aus dem Schwanz gerissen hatte. Freilich, auch den Saalbau der Freien Gemeinde hatte er unterstützt und dadurch unleugbar viel Anstoß erregt. Im Geschäftsleben sodann genoß der Angeklagte die allgemeine Achtung; die sozialen Reformen, die er in seiner Fabrik eingeführt hatte, wurden vielfach bewundert — wenn freilich auch dagegen eingewendet ward, daß sie die Ansprüche der Arbeiter ins Ungemessene steigerten und so den Umsturz vielleicht doch zu befördern geeignet waren. »Würde der Herr Zeuge«, fragte der Verteidiger, »den Angeklagten des ihm zur Last gelegten Delikts für fähig halten?« — »Einerseits«, erwiderte Scheffelweis, »gewiß nicht.« — »Aber andererseits?« fragte der Staatsanwalt. Der Zeuge erwiderte: »Andererseits gewiß.«
Nach dieser Antwort durfte der Bürgermeister sich zurückziehen; seine zwei Damen empfingen ihn, eine so unzufrieden wie die andere; und der Vorsitzende schickte sich an, die Sitzung aufzuheben, da räusperte Jadassohn sich. Er
Weitere Kostenlose Bücher