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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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nach Diederich um, und ihm ward schwül. Aber die wegwerfende Miene des Vorsitzenden ermutigte ihn wieder.
    Buck machte sein Organ milde und warm. Nein, er wolle nicht das Unglück des Zeugen Heßling, den er als das Opfer eines weit Höheren betrachte. »Warum häufen sich in diesen Zeiten die Anklagen wegen Majestätsbeleidigung? Man wird sagen: infolge solcher Vorgänge wie die Erschießung des Arbeiters. Ich erwidere: nein; sondern dank den Reden, die diese Vorgänge begleiten.« Sprezius rückte den Kopf, wetzte schon den Schnabel, zog sich aber noch zurück. Buck ließ sich nicht stören; er machte sein Organ männlich und stark.
    »Drohungen und überspannte Ansprüche auf der einen Seite zeitigen Zurückweisungen auf der andern. Der Grundsatz: Wer nicht für mich ist, ist wider mich, zieht eine grelle Grenze zwischen Byzantinern und Majestätsbeleidigern.«
    Da hackte Sprezius zu. »Herr Verteidiger, ich kann nicht dulden, daß Sie an Worten des Kaisers hier Kritik üben. Wenn Sie damit fortfahren, wird das Gericht Sie in Ordnungsstrafe nehmen.«
    »Ich füge mich der Anordnung des Herrn Vorsitzenden«, sagte Buck, und die Worte wurden in seinem Munde immer runder und gewichtiger. »Ich werde also nicht vom Fürsten sprechen, sondern vom Untertan, den er sich formt; nicht von Wilhelm II., sondern vom Zeugen Heßling. Sie haben ihn gesehen! Ein Durchschnittsmensch mit gewöhnlichem Verstand, abhängig von Umgebung und Gelegenheit, mutlos, solange hier die Dinge schlecht für ihn standen, und von großem Selbstbewußtsein, sobald sie sich gewendet hatten.«
    Diederich auf seinem Platz schnaufte. Warum schützte Sprezius ihn nicht? Es wäre seine Pflicht gewesen! Einen nationalgesinnten Mann ließ er in öffentlicher Sitzung verächtlich machen — von wem? Vom Verteidiger, dem berufsmäßigen Vertreter der subversiven Tendenzen! Da war etwas faul im Staat! ... Es begann in ihm zu kochen, wenn er Buck ansah. Das war der Feind, der Antipode; da gab es nur eins: zerschmettern! Diese beleidigende Menschlichkeit in Bucks dickem Profil! Man fühlte seine herablassende Liebe zu den Worten, die er bildete, um Diederich zu kennzeichnen!
    »Wie er«, sagte Buck, »waren zu jeder Zeit viele Tausende, die ihr Geschäft versahen und eine politische Meinung hatten. Was hinzukommt und ihn zu einem neuen Typus macht, ist einzig die Geste: das Prahlerische des Auftretens, die Kampfstimmung einer vorgeblichen Persönlichkeit, das Wirkenwollen um jeden Preis, wäre er auch von anderen zu bezahlen. Die Andersdenkenden sollen Feinde der Nation heißen, und wären sie zwei Drittel der Nation. Klasseninteressen, mag sein, aber umgelogen durch Romantik. Eine romantische Prostration vor einem Herrn, der seinem Untertan von seiner Macht das Nötige leihen soll, um die noch Kleineren niederzuhalten. Und da es in Wirklichkeit und im Gesetz weder den Herrn noch den Untertan gibt, erhält das öffentliche Leben einen Anstrich schlechten Komödiantentums. Die Gesinnung trägt Kostüm, Reden fallen, wie von Kreuzrittern, indes man Blech erzeugt oder Papier; und das Pappschwert wird gezogen für einen Begriff wie den der Majestät, den doch kein Mensch mehr, außer in Märchenbüchern, ernsthaft erlebt. Majestät...«, wiederholte Buck, das Wort durchschmeckend, und einige Hörer schmeckten es mit. Die Leute vom Theater, denen es offenbar mehr auf die Worte als auf den Sinn ankam, legten die Hand an die Ohren und murmelten beifällig. Den andern sprach Buck zu gewählt, und daß er an keinen Dialekt anklang, befremdete. Aber Sprezius war im Sessel emporgestiegen, er kreischte beutegierig: »Herr Verteidiger, zum letzten Male fordere ich Sie auf, die Person des Monarchen nicht in die Debatte zu ziehen.« Durch das Publikum lief eine Bewegung. Wie Buck den Mund wieder öffnete, versuchte jemand zu klatschen, Sprezius hackte noch rechtzeitig zu. Es war eins der auffallenden Mädchen gewesen.
    »Erst der Herr Vorsitzende«, sagte Buck, »hat die Person des Monarchen genannt. Aber, da sie nun genannt ist, darf ich, ohne Verlegenheit für das Gericht, feststellen, daß diese Person durch die Vollständigkeit, mit der sie im heute gegebenen Moment die Tendenzen des Landes ausdrückt und darstellt, etwas fast Verehrungswürdiges bekommt. Ich will den Kaiser — und der Herr Vorsitzende wird es nicht auf sich nehmen, mich zu unterbrechen — einen großen Künstler nennen. Kann ich mehr tun? Wir alle kennen nichts Höheres... Ebendarum sollte es nicht

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