Der Untertan
Handlungen, denn sie sind der Ausfluß eines tadellosen Lebenswandels, der auch im eigenen Hause auf Ehre hält und weder Lüge noch Sittenlosigkeit kennt!«
Große Bewegung im Saal. Diederich, hingerissen von der edlen Gesinnung, die er ausdrückte, berauscht durch seine Wirkung, fuhr fort, den Angeklagten anzublitzen. Da aber wich er zurück: Der Angeklagte, zitternd und wankend, stemmte sich am Geländer seiner Bank empor; er hatte rollende, blutunterlaufene Augen, und sein Kiefer bewegte sich, als habe ihn der Schlag gerührt. »Oh!« machten weibliche Stimmen voll erwartungsvollen Schauderns. Aber der Angeklagte hatte nur Zeit, einige rauhe Laute gegen Diederich auszustoßen: sein Verteidiger hatte ihn am Arm erfaßt und redete auf ihn ein. Inzwischen verkündete der Vorsitzende, daß der Herr Staatsanwalt sein Plädoyer um vier Uhr beginnen werde, und verschwand, samt den Beisitzern. Diederich, halb betäubt, sah sich auf einmal bestürmt von Kühnchen, Zillich, Nothgroschen, die ihn beglückwünschten. Fremde Leute schüttelten ihm die Hand: die Verurteilung sei todsicher, der Lauer dürfe einpacken. Der Major erinnerte den erfolgreichen Diederich daran, daß zwischen ihnen niemals eine Meinungsverschiedenheit entstanden sei. Auf dem Korridor kam ganz nahe an Diederich, den gerade eine Menge Damen umgaben, der alte Buck vorüber. Er zog sich seine schwarzen Handschuhe an und sah dabei dem jungen Mann ins Gesicht: ohne die Verbeugung zu erwidern, die Diederich wider Willen machte, ihm immer ins Gesicht, mit einem Blick, prüfend und traurig, so traurig, daß auch Diederich, mitten aus seinem Triumph heraus, ihm traurig nachsah.
Plötzlich merkte er, daß die fünf Töchter Buck sich nicht entblödeten, ihm Komplimente zu machen. Sie flatterten, rauschten und fragten, warum er denn zu der spannenden Verhandlung nicht auch seine Schwestern mitgebracht habe. Da maß er diese fünf herausgeputzten Gänse, eine nach der andern, von oben bis unten und erklärte ihnen, streng und abweisend, es gebe Dinge, die denn doch ernster seien als eine Theatervorstellung. Erstaunt ließen sie ihn stehen. Der Korridor leerte sich; zuletzt erschien noch Guste Daimchen. Sie machte eine Bewegung auf Diederich zu. Aber Wolfgang Buck holte sie ein, lächelnd, als sei nichts geschehen; und mit ihm waren der Angeklagte und seine Frau. Schnell sandte Guste zu Diederich einen Blick hin, der sein Zartgefühl anrief. Er drückte sich hinter einen Pfeiler und ließ, indes ihm das Herz klopfte, die Geschlagenen vorüber.
Wie er gehen wollte, trat aus dem Amtszimmer der Regierungspräsident, Herr von Wulckow. Diederich stellte sich, den Hut in der Hand, am Wege auf, schlug im richtigen Augenblick die Hacken zusammen, und wirklich, Wulckow blieb stehen. »Na also!« sagte er aus der Tiefe seines Bartes und klopfte Diederich auf die Schulter. »Sie haben das Rennen gemacht. Sehr brauchbare Gesinnung. Wir sprechen uns noch.« Und er ging weiter auf seinen kotigen Stiefeln, schwenkte den Bauch in der verschwitzten Jagdhose und hinterließ, durchdringend wie je, diesen Geruch gewalttätiger Männlichkeit, der bei allem, was geschah, im Gerichtssaal gelagert hatte.
Beim Ausgang drunten hielt sich noch immer der Bürgermeister auf, mit Frau und Schwiegermutter, die von beiden Seiten auf ihn eindrangen und deren Forderungen er, bleich und hoffnungslos, in Einklang zu bringen suchte.
Zu Hause wußten sie schon alles. Sie hatten, alle drei, im Vestibül auf das Ende der Verhandlung gewartet und sich von Meta Harnisch erzählen lassen, was vorging. Frau Heßling umarmte ihren Sohn unter stummen Tränen. Die Schwestern standen etwas betreten dabei, denn noch gestern hatten sie nur Geringschätzung gehabt für Diederichs Rolle im Prozeß, die sich nun als so glänzend erwies. Aber Diederich, in der schönen Vergeßlichkeit des Siegers, ließ Wein zum Essen auftragen, und er erklärte ihnen, der heutige Tag sichere für alle Zeit ihre gesellschaftliche Stellung in Netzig. »Die fünf Damen Buck werden sich hüten, auf der Straße wegzusehen. Sie können froh sein, wenn ihr sie zurückgrüßt!« Die Verurteilung des Lauer war, so versicherte Diederich, nur mehr eine Formalität. Sie war entschieden, und mit ihr auch Diederichs unaufhaltsamer Aufstieg! »Freilich« — und er nickte in sein Glas —, »trotz voller Pflichterfüllung hätte es schiefgehen können, und dann, meine Lieben, das wollen wir uns nur gestehen, dann wäre ich wahrscheinlich
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