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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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überzogen war, und begann mit der zweiten Skizze. Louis hatte es sich beherzt in einem Velourssessel bequem gemacht und seine langen Beine ausgestreckt. Wegen seines Knies mochte er nicht länger als unbedingt nötig mit angewinkelten Beinen sitzen. Kurz darauf trat Jean-Michel Bonnot ein. Er war klein, dickbäuchig, hatte sehr rote Wangen und einen unsicheren Blick und trug eine enorme Brille. Marc und Louis erhoben sich. Er gab ihnen etwas linkisch die Hand. Durch die offene Tür hörte man, wie die Kinder aßen.
    »Wir sind spät dran«, sagt Louis, »bitte entschuldigen Sie das. Mein Freund mußte unterwegs anhalten, um eine alte Freundin zu besuchen.«
    »Das macht nichts. Meine Frau hatte sich die genaue Uhrzeit nicht gemerkt.«
    Louis erklärte dem Patissier ausführlich die Verbindungen, die seiner Ansicht nach zwischen dem Mord von Nevers und der tragischen Verbrechensserie bestanden, die Paris derzeit erlebte. Er sagte, daß sich gerade seine Hilfe bei der Suche nach dem Mörder, den er acht Jahre zuvor so mutig verfolgt hatte, als entscheidend erweisen könnte.
    »Ich bitte Sie«, wandte Bonnot ein.
    »Doch«, erwiderte Louis, »Sie waren sehr mutig. Alle Zeitungen haben das damals betont.«
    »Ich dachte, die Polizei sucht den Mann, dessen Phantombild überall veröffentlicht worden ist?«
    »Das ist nur eine Spur. Jedenfalls denkt die Polizei, daß der Mörder - wer auch immer - aus Nevers kommen könnte.«
    »Sind Sie kein Polizist?« fragte der Mann und warf Louis einen flüchtigen Blick zu.
    »Ich arbeite für das Innenministerium.«
    »Aha«, sagte Bonnot.
    Marc kritzelte unterdessen konzentriert vor sich hin. Ab und zu warf er dem Mutigen Patissier einen Blick zu. Er fragte sich, wie Bonnot reagiert hätte, wenn Louis seine dreckige Kröte, die er beim Aussteigen diskret in seine Tasche befördert hatte, auf den Tisch gesetzt hätte. Er vermutete, Bonnot hätte sehr phlegmatisch reagiert. Eines Tages würde er dieses Phlegma vielleicht auch besitzen, es bestand also kein Anlaß zur Verzweiflung.
    »Kennen Sie den Mann auf dem Phantombild?« fragte Louis.
    »Nein«, antwortete Bonnot mit leichtem Zögern.
    »Sie sind sich nicht sicher?«
    »Doch. Meine Frau hat sich nur gestern abend ein bißchen darüber lustig gemacht, weil er sie an jemanden von hier erinnert, der ziemlich einfältig ist. Man begegnet ihm ab und zu in der Stadt, er schleppt sein Akkordeon durch die Straßen, und manchmal gibt man ihm ein bißchen was. Ich habe meiner Frau gesagt, daß man über solche Leute nicht lacht, weder über Mörder noch über Einfältige.«
    In diesem Augenblick kam Madame Bonnot herein und stellte einen Pastis und ein großes Tablett mit Patisserie auf den Tisch.
    »Bedienen Sie sich«, sagte Bonnot und deutete mit dem Kinn auf das Tablett. »Ich selbst esse nie Gebäck. Patissier zu sein erfordert Disziplin.«
    Bonnot schenkte sich ein, und Louis und Marc machten deutlich, daß sie ebenfalls am Pastis interessiert seien.
    »Entschuldigen Sie. Ich habe gedacht, daß Polizisten bei den Leuten nie was trinken.«
    »Wir sind vom Innenministerium«, erklärte Louis noch einmal, »und die Leute vom Innenministerium haben bei den Leuten immer getrunken.«
    Bonnot warf ihm denselben scheelen Seitenblick zu und füllte kommentarlos die Gläser. Marc reichte Louis die Skizzen von Clairmont und dem ›Schnitter‹, nahm sich ein dick gefülltes Blätterteig-Teilchen und begann, die Silhouette von Clement Vauquer zu zeichnen. Bonnot war ihm nur halb sympathisch, und es war ihm recht, daß er sich weitgehend heraushalten konnte.
    Bonnot sah sich jetzt mit Louis die Zeichnung des ›Schnitters‹ an und rückte seine Brille auf der Nase zurecht. Leicht angewidert verzog er das Gesicht.
    »Kein sehr angenehmer Mensch, oder?«
    »Nein«, bemerkte Louis, »nicht sehr.«
    Bonnot wandte sich dem Porträt von Clement zu.
    »Nein«, sagte er nach einer Weile. »Nein ... Wie soll ich mich daran erinnern? Sie kennen die Geschichte ...
    Es war im Februar, der Mörder war in einen Schal gehüllt, außerdem noch mit Mütze. Ich habe nicht einmal daran gedacht, ihn anzusehen, so sehr stand ich unter Schock. Dann das Gedränge und die Verfolgung, da hab ich ihn nur von hinten gesehen ... Tut mir leid. Wenn ich zwischen den beiden wählen müßte, würde ich der Silhouette und dem Leibesumfang nach auf den hier tippen«, sagte er und tippte mit dem Finger auf Clairmont. »Der andere scheint mir ein bißchen breit in den Schultern.

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