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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ist eine Sache von einem Tag, höchstens zwei.«
    »Das wirkt aber nicht sehr zuverlässig«, brummelte Marc. »Ich habe meine Stellen gerade erst gefunden. Warum soll ich mitkommen? Du kannst doch mit dem mutigen Patissier sehr gut allein reden.«
    »Natürlich. Aber ich kann ihm keine Zeichnung von dem Gesicht von Clairmont, dem ›Schnitter‹ oder von du weißt schon wem anfertigen. Du schon.«
    »Tschik, tschik«, sagte Clement.
    »Clement, vergiß doch mal für fünf Minuten den ›Schnitter‹, ja?« bat Louis und legte ihm die Hand auf den Arm.
    Marc war noch immer unentschlossen.
    »Denk drüber nach«, sagte Louis und erhob sich. »Ich komme gegen zwei wieder vorbei. Die Wäsche von Madame Toussaint kann vielleicht länger warten als der Mörder.«
    Marc warf einen Blick auf den Wäschekorb.
    »Es ist die Wäsche von Madame Mallet«, verbesserte er. »Warum reden die Zeitungsartikel eigentlich von einer möglichen ›Mörderin‹?«
    »Weiß ich nicht. Das bereitet mir auch Kopfzerbrechen.«
     

32
     
    Der ›Schnitter‹ saß im Schatten seines Werkzeugschuppens. Mit einem Suppenlöffel bewaffnet, verschlang er gierig den Inhalt seines Blechtellers. Louis sah ihm eine Weile zu. Dann ging er hin, lehnte sich ihm gegenüber an einen Baumstamm und holte ein Sandwich aus einer Papiertüte. Die beiden Männer kauten schweigend. Der Friedhof war leer und still, der Verkehrslärm weit entfernt.
    Der ›Schnitter‹ hatte eine saubere weiße Stoffserviette mit spitzenverzierten Ecken über seine Tasche gebreitet, auf die er sein Brot und sein Messer gelegt hatte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, warf Louis einen glasigen Blick zu und kaute dann gleichgültig weiter.
    »Vorsicht, die Wespe!« rief Louis plötzlich und streckte einen Arm aus.
    Der ›Schnitter‹ zog rasch den Löffel von den Lippen und schüttelte ihn in der Luft. Das Insekt flog auf, summte ein paar Augenblicke um den Kopf des Mannes und verschwand.
    »Danke«, sagte er.
    »Nicht der Rede wert.«
    Der ›Schnitter‹ stopfte sich nachdenklich einen weiteren Bissen in den Mund.
    »In der Südmauer ist ein Wespennest«, sagte er. »Ich bin gestern dreimal fast gestochen worden.«
    »Ein Fall für die Feuerwehr.«
    »Genau.«
    Er kratzte geräuschvoll seinen Blechteller aus und klemmte ihn zwischen die Knie, um nach dem Brot zu greifen.
    »Hübsch, das Deckchen«, sagte Louis.
    »Ja.«
    »Man könnte meinen, handgestickt.«
    »Das hat meine Mutter gemacht«, knurrte der ›Schnitter‹ und schwenkte sein Messer. »Damit muß man aufpassen, sehr aufpassen. Es ist ein Sohnschützer.«
    »Ein Sohnschützer?«
    »Bist du taub? Meine Mutter hat für alle ihre Kinder welche gemacht. Das muß jeden Sonntag gewaschen und, wenn's sauber ist, getrocknet werden, wenn du willst, daß es dich schützt. Denn wenn du das Deckchen jeden Sonntag wäschst, hat meine Mutter gesagt, dann muß du schon mal wissen, welcher Tag gerade ist, und um das zu wissen, darfst du nicht zuviel picheln. Außerdem mußt du dafür aufstehen. Und du mußt heißes Wasser und Seife haben. Und um Wasser zu haben, brauchst du ein Dach über dem Kopf. Und das Dach mußt du bezahlen. Das bedeutet, daß du, nur um das Deckchen sauberzuhalten, ganz schön rackern muß, und du kannst dir nicht erlauben, jeden Tag, den Gott macht, mit deiner Flasche in der Hand Däumchen zu drehen, hat meine Mutter gesagt. Deswegen ist das ein Sohnschützer. Meine Mutter«, fügte der ›Schnitter‹ hinzu und pochte sich mit dem Griff seines Messers an die Stirn, »hat alles vorausgeplant.«
    »Und was ist mit den Töchtern?« fragte Louis. »Hat sie auch Töchterschützer gemacht?«
    Der ›Schnitter‹ zuckte verächtlich mit den Schultern.
    »Töchter schlucken nicht soviel.«
    »Wäschst du jeden Sonntag deine ganze Wäsche?«
    »Das Deckchen reicht aus, um alles zu schützen.«
    Louis verjagte eine weitere Wespe, schluckte den letzten Bissen seines Sandwichs herunter und klopfte sich die Brotkrümel vom Jackett. Der ›Schnitter‹ hatte Schwein gehabt. Louis hatte von seinem Vater nur eine Steppdecke aus Zement geerbt, um ihn im Bett zu halten, wenn er zuviel getrunken hatte.
    »Ich hab dir einen Wein aus deiner Gegend mitgebracht. Einen Sancerre.«
    Der ›Schnitter‹ warf ihm einen mißtrauischen Blick zu.
    »Ich vermute, das ist nicht alles.«
    »Richtig. Ich habe das Foto einer toten Frau dabei.«
    »Das hätte mich auch gewundert.«
    Der ›Schnitter‹ erhob sich, verstaute sorgfältig

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