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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Louis auf der Rückbank einen Mittagsschlaf hielt. Weck mich, wenn wir die Loire sehen, hatte er gesagt. Gegen halb vier war Marc an Montargis vorbeigekommen und hatte im Handschuhfach nach der Straßenkarte getastet. Seine Finger hatten etwas Trockenes, Weiches gestreift, er hatte laut aufgeschrien und panisch den Randstreifen angesteuert. Dann hatte er einen Blick in das Handschuhfach riskiert und Bufo entdeckt, die auf einem feuchten Lappen vor sich hin döste. Verdammt nochmal, er hatte die Kröte angefaßt.
    Empört hatte er sich umgedreht, um Louis zu beschimpfen, aber der Deutsche war nicht einmal aufgewacht.
    Marc hatte ein paar Flüche ausgestoßen, sehr langsam die Klappe des Handschuhfachs zugemacht und dabei den Mutigen Patissier beschworen, um sich ein Herz zu fassen. Jemand, der einen Scherenmörder sucht, kann nicht vor einem Miststück von Kröte Reißaus nehmen. Schweißgebadet war er weitergefahren und hatte sich erst nach etlichen Kilometern wieder beruhigt.
    Gegen halb fünf fuhr er die Loire entlang. Sein Hemd klebte am Sitz. Er beschloß noch zu warten, bevor er Louis weckte und ihn beschimpfte. Dreißig Kilometer vor Nevers bremste er plötzlich und drehte um. Er stellte das Auto auf dem Platz einer kleinen mittelalterlichen Stadt ab und verließ den Deutschen und die Kröte im Auto, um zu Fuß zur Kirche hinunterzugehen. Glücklich besichtigte er sie eine halbe Stunde lang und saß dann eine ganze Weile auf dem Kirchenvorplatz, das Gesicht der hohen Turmfassade zugekehrt. Als die schweren Glocken sechs Uhr schlugen, erhob er sich, reckte sich und ging zum Auto zurück. Louis lehnte verärgert am Kotflügel.
    »Fahren wir«, sagte Marc und hob beruhigend eine Hand.
    Er setzte sich ans Steuer und fuhr wieder in Richtung Route Nationale 7.
    »Was hat dich geritten, hier anzuhalten, um Himmels willen? Weißt du, wie spät es ist?« fragte Louis.
    »Wir haben viel Zeit. Ich konnte hier nicht durchfahren, ohne der ältesten Tochter von Cluny guten Tag zu sagen.«
    »Wer ist diese Tochter?«
    »Eine, in die ich immer sehr verliebt war. Die da«, fügte er hinzu und zeigte mit einem Finger nach rechts, als das Auto auf dem Weg zurück an der Kirche vorbeikam. »Eine der schönsten Töchter der Romanik überhaupt. Guck, so guck doch!« rief er plötzlich und fuchtelte mit dem Arm. »Gleich verschwindet sie hinter der Kurve, verdammt!«
    Louis seufzte, verrenkte sich den Hals, guckte und setzte sich leise fluchend wieder gerade hin. Es war gewiß nicht der richtige Augenblick für Marc, in einen Geschichtsbrunnen zu stürzen, und seit gestern spürte Louis, daß Marc auf einer bedrohlich schiefen Bahn war.
    »Sehr schön«, sagte er. »Jetzt mach aber schnell. Wir haben schon genug Zeit verloren.«
    »Das wäre nicht passiert, wenn du dein Miststück von Kröte nicht in das Handschuhfach gestopft hättest. Nach diesem unerwünschten fleischlichen Kontakt brauchte ich eine umfassende spirituelle Reinigung.«
     
    Auf den letzten Kilometern schwiegen die beiden Männer, und in Nevers setzte sich Louis wieder ans Steuer, weil er die Stadt etwas kannte. Er sah mehrfach auf den Stadtplan, um das Haus von Jean-Michel Bonnot zu finden, und stellte das Auto kurz darauf vor dessen Haustür ab. Marc machte als erster wieder den Mund auf und schlug vor, noch etwas trinken zu gehen, bevor sie in die Privatsphäre des Mutigen Patissiers eindrangen.
    »Bist du sicher, daß er zu Hause ist?« fragte Marc, als er schließlich vor einem Bier saß.
    »Ja. Heute ist Montag, da arbeitet er nicht. Ich habe ihm heute morgen über seine Frau Bescheid gegeben. Glaubst du, daß du den ›Schnitter‹ und Clairmont zeichnen kannst?«
    »Ungefähr.«
    »Fang an, wenn wir schon hier sitzen.«
    Marc zog einen Block und einen Kugelschreiber aus seinem Rucksack, riß ein Blatt heraus und konzentrierte sich. Louis sah ihm zu, wie er eine Viertelstunde lang mit gerunzelter Stirn skizzierte.
    »Soll ich auch die Fliege zeichnen?« fragte Marc, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
    »Zeichne besser noch seine Gesamterscheinung ohne Gesicht.«
    »Sehr gut. Das kostet extra. Die Fliege wäre umsonst gewesen.«
    Marc beendete seine Skizze und reichte sie Louis.
    »Gefällt's dir?«
    Louis nickte mehrfach, um seiner Zustimmung Ausdruck zu verleihen.
    »Gehen wir«, sagte er, »es ist sieben.«
    Bonnots Frau bat sie, im Wohnzimmer zu warten. Marc setzte sich vorsichtig auf die Kante eines großen Sofas, das mit einer gehäkelten Spitzendecke

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