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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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das weiße Deckchen in seiner dreckigen Tasche, spülte seinen Blechteller in der Hütte aus und schulterte einen Rechen.
    »Ich habe zu tun«, sagte er.
    Louis hielt ihm die Flasche hin. Der ›Schnitter‹ entkorkte sie schweigend und nahm ein paar kräftige Schlucke. Dann streckte er die Hand aus, und Louis reichte ihm den Zeitungsausschnitt aus Nevers mit dem Foto. Der Mann sah es sich einen Moment an und trank einen kleinen Schluck.
    »Hm«, sagte er. »Wo ist die Falle?«
    »Kanntest du sie?«
    »Klar doch. Ich war noch in Nevers, als sie gestorben ist. In Nevers würden sie alle erkennen, zwei Wochen lang waren die Zeitungen voll von ihr. Sammelst du so was?«
    »Ich glaube, daß der Scherenmörder sie umgebracht hat. Du zum Beispiel.«
    »Scher dich zum Teufel. Ich war nicht der einzige in Nevers. Der Dorfdepp war auch da.«
    »Aber er hat sich nicht zwei Wochen nach dem Mord nach Paris verzogen. So wie du, nicht wahr? Hast du Schiß gehabt?«
    »Ich hab vor nichts Schiß, außer meine Decke nicht waschen zu können. Es gab in Nevers keine Arbeit mehr für mich, das ist alles.«
    »Ich geh jetzt, Thevenin«, sagte Louis und steckte den Zeitungsausschnitt wieder ein. »Ich fahre in deine Stadt.«
    Der ›Schnitter‹ begann mit düsterem Gesicht den Kiesweg zu harken.
    »Ich besuche den Typ, der dem Mörder hinterhergerannt ist«, fügte Louis hinzu.
    »Laß mich in Ruhe.«
    Auf dem glühendheißen Kiesweg ging Louis langsam zum Ausgang des Friedhofs und erreichte sein überheiztes Auto. Er besprühte Bufo, bevor er sie auf den Beifahrersitz setzte. Er fragte sich, wo er die Kröte während der Reise verstecken könnte, falls Vandoosler der Jüngere ihn begleiten würde. Im Handschuhfach vielleicht? Louis räumte Straßenkarten und diversen Müll aus dem Fach und prüfte die Bewohnbarkeit der kleinen Zelle. Er kapierte nicht, wieso Marc sich derart vor Amphibien ekelte. Na ja, er verstand Marc sowieso kaum und umgekehrt.
     
    Gegen zwei Uhr stieß er die Tür zur Bruchbude auf. Lucien trank mit Vandoosler dem Älteren gerade Kaffee, und Louis willigte ein, zum vierten Mal an diesem Tag eine Tasse Kaffee zu trinken.
    »Hast du mit den Bullen geredet?« fragte Lucien.
    »Wegen Nerval? Ja. Ist ihnen scheißegal.«
    »Machst du Witze?« rief Lucien.
    »Nicht im geringsten.«
    »Willst du damit sagen, daß sie sich nicht um die nächste Frau kümmern?«
    »Sie werden jedenfalls deine Straßen nicht überwachen. Sie warten darauf, daß diejenigen, die Clement verstecken, einen Schnitzer machen und ihn laufenlassen. Sesselfurzer.«
    Lucien war rot angelaufen. Er schnaubte geräuschvoll und warf seine Haare zurück.
    »Es sind nicht meine Straßen, verdammt noch mal!« schrie er. »Was machst du jetzt?«
    »Nichts. Ich fahre nach Nevers.«
    Lucien stand auf, schob mit großem Getöse seinen Stuhl weg und verließ den Raum.
    »Das war's dann«, bemerkte Vandoosler der Ältere. »Der heilige Lukas ist ein Heißsporn. Wenn du Clement suchst, der ist mit dem heiligen Matthäus unten im Keller. Der heilige Markus ist auf seiner Etage. Er arbeitet.«
    Seinerseits verärgert, ging Louis in den zweiten Stock hinauf und klopfte an die Tür. Marc saß inmitten eines Berges von Manuskriptkopien an seinem Schreibtisch. Er hatte einen Bleistift zwischen den Lippen und nickte kurz.
    »Reiß dich los«, sagte Louis. »Wir fahren.«
    »Wir werden nichts finden«, entgegnete Marc, ohne den Blick von seinem Manuskript zu lösen.
    »Nimm den Bleistift aus dem Mund, ich verstehe kein Wort.«
    »Wir werden nichts finden«, wiederholte Marc ohne Stift und wandte sich Louis zu. »Und außerdem möchte ich Lucien im Augenblick nicht allein lassen.«
    »Wie, im Augenblick? Hast du Angst, daß er Clement auf einen kleinen Spaziergang schickt?«
    »Nein, es ist was anderes. Wart einen Moment, ich muß mit ihm reden.«
    Marc sprang mit ein paar Sätzen die Treppe in den dritten Stock hinauf und kam zehn Minuten später wieder zurück.
    »Einverstanden. Muß nur noch meine Sachen zusammenpacken.«
    Louis sah ihm zu, wie er Wäsche in einen Rucksack stopfte und einen Stapel Kopien seiner mittelalterlichen Manuskripte dazupackte, wie jedes Mal, wenn er sich von seinem Schreibtisch entfernte, und sei es nur für eine Nacht. Louis dachte sich, daß Marc vielleicht einen Sohnschützer gebrauchen könnte, um ihn vor seinen schwindelerregenden Stürzen in die Brunnen der Geschichte zu bewahren.
     

33
     
    Marc hatte das Steuer übernommen, während

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