Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats
Geschlechtsverkehrs zu widersprechen. Westermarck geht freilich von der Ansicht aus, daß »Regellosigkeit die Unterdrückung der individuellen Neigungen einschließt,« so daß »die Prostitution ihre echteste Form ist.« Mir scheint vielmehr, daß alles Verständniß der Urzustände unmöglich bleibt, solange man sie durch die Bordellbrille anschaut. Wir kommen bei der Gruppenehe auf diesen Punkt zurück.
Nach Morgan entwickelte sich aus diesem Urzustand des regellosen Verkehrs, wahrscheinlich sehr frühzeitig:
1. Die Blutsverwandtschaftsfamilie , die erste Stufe der Familie. Hier sind die Ehegruppen nach Generationen gesondert: alle Großväter und Großmütter innerhalb der Grenzen der Familie sind sämmtlich unter einander Mann und Frau, ebenso deren Kinder, also die Vater und Mütter, wie deren Kinder wieder einen dritten Kreis gemeinsamer Ehegatten bilden werden, und deren Kinder, die Urenkel der ersten, einen vierten. In dieser Familienform sind also nur Vorfahren und Nachkommen, Eltern und Kinder von den Rechten wie Pflichten (wie wir sagen würden) der Ehe unter einander ausgeschlossen. Brüder und Schwestern, Vettern und Kousinen ersten, zweiten und entfernteren Grades, sind alle Brüder und Schwestern unter einander und eben deswegen alle Mann und Frau Eins des andern. Das Verhältniß von Bruder und Schwester schließt auf dieser Stufe die Ausübung des gegenseitigen Geschlechtsverkehrs von selbst in sich ein. [Fußnote: In einem Brief vom Frühjahr 1882 spricht Marx sich in den stärksten Ausdrücken aus über die im Wagner'schen Nibelungentext herrschende totale Verfälschung der Urzeit. »War es je erhört, daß der Bruder die Schwester bräutlich umfing?« Diesen ihre Liebeshändel ganz in moderner Weise durch ein Bischen Blutschande pikanter machenden »Geilheitsgöttern« Wagner's antwortet Marx: »In der Urzeit war die Schwester die Frau, und das war sittlich .« – (Zur vierten Auflage.) Ein französischer Freund und Wagnerverehrer ist mit dieser Note nicht einverstanden, und bemerkt, daß schon in der älteren Edda, worauf Wagner gebaut, in der Oegisdrecka, Loki der Freyja vorwirft: »Vor den Göttern umarmtest du den eignen Bruder.« Die Geschwisterehe sei also schon damals verpönt gewesen. Die Oegisdrecka ist Ausdruck einer Zeit, wo der Glaube an die alten Mythen vollständig gebrochen war; sie ist ein reines Lucianisches Spottlied auf die Götter. Wenn Loki als Mephisto darin der Freyja solchen Vorwurf macht, so spricht das eher gegen Wagner. Auch sagt Loki, einige Verse weiter, zu Niördhr: »Mit deiner Schwester zeugtest du einen (solchen) Sohn« ( vidh systur thinni gaztu slikan mög ). Niördhr ist zwar kein Ase, sondern Vane, und sagt in der Ynglinga Saga, daß Geschwisterehen in Vanaland üblich seien, was bei den Asen nicht der Fall. Dies wäre ein Anzeichen, daß die Vanen ältre Götter als die Asen. Jedenfalls lebt Niördhr unter den Asen als ihresgleichen, und so ist die Oegisdrecka eher ein Beweis, daß zur Zeit der Entstehung der norwegischen Göttersagen die Geschwisterehe, wenigstens unter Göttern, noch keinen Abscheu erregte. Will man Wagner entschuldigen, so thäte man vielleicht besser, statt der Edda Goethe heranzuziehn, der in der Ballade vom Gott und der Bajadere einen ähnlichen Fehler in Beziehung auf die religiöse Frauenpreisgebung macht und sie viel zu sehr der modernen Prostitution annähert.]
Die typische Gestalt einer solchen Familie würde bestehn aus der Nachkommenschaft Eines Paars, in welcher wieder die Nachkommen jedes einzelnen Grades unter sich Brüder und Schwestern und eben deshalb Männer und Frauen unter einander sind.
Die Blutsverwandtschaftsfamilie ist ausgestorben. Selbst die rohsten Völker, von denen die Geschichte erzählt, liefern kein nachweisbares Beispiel davon. Daß sie aber bestanden haben muß, dazu zwingt uns das hawaiische, in ganz Polynesien noch jetzt gültige Verwandtschaftssystem, das Grade der Blutsverwandtschaft ausdrückt, wie sie nur unter dieser Familienform entstehn können; dazu zwingt uns die ganze weitere Entwicklung der Familie, die jene Form als nothwendige Vorstufe bedingt.
2. Die Punaluafamilie . Wenn der erste Fortschritt der Organisation darin bestand, Eltern und Kinder vom gegenseitigen Geschlechtsverkehr auszuschließen, so der zweite in der Ausschließung von Schwester und Bruder. Dieser Fortschritt war, wegen der größern Altersgleichheit der Betheiligten, unendlich viel wichtiger, aber auch schwieriger als
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