Der Utofant
an. Er stopfte sie in ein Taxi und drehte sich rasch um. Sie konnte nicht beobachten, ob er in seine Haustür ging. Ihr schien es, als liefe er daran vorüber.
4
Als Odysseus nicht bei Michaela anrief, ging sie an einem dunklen und nebligen Oktoberabend an der Villa Remm vorbei. Sie konnte keinen Menschen in der Nähe sehen. Sie umwanderte den Garten und überlegte, ob sie eintreten sollte. Die Pforte lag nur angelehnt. Odysseus, rief sie, bist du drin? Wie sollte er ihr Rufen hören, umgeben von Teppichen und Plüsch und dicken Täfeleien. Die Villa hockte aufgedunsen im Nebel wie ein dunkler Heuschober, die Schritte wurden aufgesogen, die ganze Gegend schien lautschluckend ausgestattet. Michaela schien es, sie starrte schon zu lange in den Garten, und jener Schatten, der schräg aufs Haus zuwankte, sei eine optische Irritation wie jenes dunkelbraune Schimmern im Erdgeschoß, von Michaelas angestrengten Augen inszeniert.
Odysseus, bist du es? Sie hörte ihre eigene Stimme kaum. Lief nicht ein Schatten an den Rosenbüschen vorbei, bewegte sich die Haustür nicht? Michaela fiel nicht unter das Klischee der sich im Dunkeln ängstigenden Frau, im Gegenteil, im Dunkeln, besonders wenn Nebel damit verbunden war, fühlte sie sich geborgen. So gab sie ihren Posten am Gartenzaun der Villa Remm nicht aus Furcht auf, und erst recht nicht aus Furcht bog sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, in die GeneralPopp-Allee, die zum Nordfriedhof führt.
Das Portal des Friedhofs war geschlossen, aber Michaela dünn genug, um sich zwischen den Eisenstäben des Zauns hindurchzuzwängen. Ihr guter Ortssinn führte sie auch ohne Licht zur Grabstelle Remm. Um ganz sicher zu gehen, kniete sie an der Metalltafel nieder und tastete die eingravierte Schrift mit dem Zeigefinger ab: Ernst Remm wurde 94 Jahre alt und machte 77 Erfindungen, die euch noch schaffen werden. Allerdings mußte sie vorher Efeustrünke abheben und etwas Moos von der Tafel kratzen. Sie trat hinter eine Taxushecke und sah auf ihre Uhr, eine halbe Stunde bis die Visionsbar öffnete. Sie hielt es für unmöglich, daß ausgerechnet in dieser kurzen Zeit etwas geschehen sollte. Sie bereute schon, ihrem dunklen Gefühl nachgelaufen zu sein. Was sollte hier geschehen und was würde es zur Aufklärung des Falles Remm beitragen? Und kümmerte sie überhaupt dieser Remm? Die Inventarisierung der Villa Remm war Odysseus’ Angelegenheit. Wozu hängte sie sich da rein? Was sollte hier jetzt geschehen? Was wollte sie, sollte geschehen? Es würde noch nicht mal wer kommen und sie ermorden. Friedhofsmorde geschahen am einsamen Mittag, und gegen Nachmittag die Vergewaltigungen trauernder Witwen. Wann war der Termin für das Entreißen von Handtaschen alter Damen?
Aber jetzt kam der Zeitpunkt für das Auftauchen einer Michaela bekannten Gestalt.
Odysseus, im grauen Metallic-Mantel, zischte an den Sträuchern entlang, und sein Leuchtstab schnitt plötzlich Remms Grabplatte aus der mulmigen Dunkelheit. Die gelbe Werkzeugtasche plumpste auf den weichen Boden. Odysseus knöpfte einen elektrischen Klappspaten heraus und begann rings um die Platte das Erdreich zu lockern. Bist du verrückt, sagte Michaela, kannst du es nicht lassen?
Was soll das? fragte Odysseus, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen. Wer hat die Arbeit Inventarisierung der Villa Remm übernommen? Wer hat das Geld dafür kassiert? Wer hat den Urlaub auf den Eis-Inseln bezahlt? Wer hat den Eingang zur Villa Remm freigearbeitet? Verschwinde, Klette, laß mich arbeiten.
Gut, sagte Michaela, ich verschwinde. Und weißt du, wohin? Zu Herrn Remm. Er hat mich genauso eingeladen wie dich. Ich besuche ihn einfach, privat. Das Recht kannst du mir nicht nehmen. Dich hat er nur aus Höflichkeit mit eingeladen, der hat genau gemerkt, daß du ein Anhängsel bist, eben mitgeschleppt, aber er hat Höflichkeit einprogrammiert gekriegt, der Automat. Na, bitte, laß dich von einem Automaten beschmusen, küß die Hand, Madame, alles einprogrammiert. Dir jedenfalls ist Höflichkeit nicht einprogrammiert, sagte Michaela, einem Automaten kann man sie einprogrammieren, bei Menschen gelingt es nicht immer; viel Spaß beim Buddeln und viele neue Erkenntnisse wünsche ich dir. Ich gehe jetzt zu Remm. So spät kannst du da nicht mehr hin. Warum nicht? Ich bin dort jederzeit gern gesehen.
Nein, nein, sagte Odysseus, du kannst da nicht alleine hingehen, da würde was
passieren.
Da passiert nichts.
Aber es ist meine Aufgabe, die
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