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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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er eiert da herum. Es seien heute andere Zeiten, gewiß, man habe ihn einstmals zurückgesetzt, und er begründet dies mit der berühmten Schwierigkeit, Lehrmeinungen sich erst mal anzueignen und dann mit einemmal ganz andere Meinungen zu hören und sie zu akzeptieren. Dies falle meistens jenen schwer, die sich mühsam eine Lehre eingetrichtert haben. Er aber habe auf die Zurückweisung trotzreaktorisch reagiert, er habe Frustrationen ausgelöst und Frustrationen eingehandelt. Er spricht über Ernst Remm wie über einen Gegenstand der Wissenschaft.
    Der er ja ist. Am liebsten möchte ich ihn mit einer Axt entzweischlagen und ihn
dann auseinandernehmen.
Und wenn Blut aus ihm fließt?
Mildernde Umstände.
    Ich schlage vor, Odysseus, wir gehen eine Weile nicht zu ihm, wir müssen uns von ihm erholen, er schafft uns sonst. Du kannst es auffassen wie du willst, wir werden uns jetzt einen schönen Abend machen. Sie hängte ihre apfelsinenfarbene Bluse vor den Leuchtstab und fing an, Herkules-Bouillon zu kochen. Auch Frostbrot fand sie vor, das sie in Butter briet. Sorgfältig schluckte und kaute Odysseus, während sie anfing, die herkömmlichen Riten zu vollführen, das zufällige Hochstreifen des Rocks zum Beispiel. Dabei merkte sie, wie seine grauen Augen sich knopfartig nach vorn verschoben. Doch gleichzeitig erstand vor ihrer inneren Optik Remm, wie er die herkömmlichen Riten aufzählte, auf einschlägige Werke hinwies und auf die nationalen und religiösen Unterschiede. Nicht wahr, wir machen Denkpause, rief sie verzweifelt.
    Die Fenster standen offen, die abwaschbaren Gardinen rieben sich im Wind. Ich
möchte jetzt kein Licht.
Odysseus wollte auch keins.
Sie hielten sich im Dunkeln fest, als sie ein Auto vorfahren hörten, kurz darauf
energiegeladenes Klingeln.
Wer ist da? rief Odysseus durch die Sprechanlage.
    Ich bin es; ich wollte mir gestatten, Ihren Besuch endlich zu erwidern. Er ist es. Odysseus’ Augen funkelten. Wir können ihn da unten nicht stehenlassen, sagte Michaela.
    Odysseus drückte auf den Summer und auf den Fahrstuhlknopf. Sie sahen im Treppenhaus das Licht aufflammen, der sanfte Stoß des Fahrgehäuses erfolgte pünktlich.
    Remm überreichte Michaela einen mächtigen Rosenstrauß. Aus meinem Wintergarten, sind sie nicht exquisit? Er küßte Michaelas Hand. Remm-Lippen fühlen sich an wie Samtpapier. Nein, zarter, die Reibung war aufregend.
    Odysseus wollte ihm die Hand nicht reichen. Remm griff sie fest. Es schien schon
wieder, als würden sie sich ineinanderhaken.
Wo haben Sie den Clodemichel? fragte Odysseus.
Er hat jetzt Feierabend, sagte Remm.
So guten Kognak wie Sie kann ich nicht anbieten, sagte Odysseus.
Ein Juice genügt mir.
Habe nur Bier.
    Das trinke ich noch lieber. Es schien, als schlürfte Remm das Bier genießerisch, den Schaum wischte er nicht vom Mund.
    Hier ist eine Serviette, sagte Michaela, falls Sie sie brauchen. Remm äußerte, der Schaum sei ihm das Wichtigste beim Bier. Ich mag es, wenn er antrocknet, so bleibt ein kleiner Duft hängen. Sie sehen, ich bin Feinschmecker. Was ist ein Feinschmecker? fragte Odysseus.
    Remms Vortrag blieb nicht aus. Er habe dafür eine einfache Definition, Feinschmecker, Gourmet, sei einer, der nicht alles esse, was man ihm vorsetzt, der sich zu Vorgesetztem kritisch verhalte, das sei der Anfang…
    Als Remm das Bier ausgetrunken hatte, sagte er, es habe ihn gefreut, er danke
    für die Gastfreundschaft.
    Odysseus fuhr mit ihm nach unten. Er schien erregt, als er zurückkommend die Rosen auf dem Tisch sah. Ab in den Müllschlucker mit dem Gestrüpp, da sind womöglich Wanzen drin, durch die er alles hört, was wir uns über ihn erzählen. Muß das sein? Michaela dachte, er ist eifersüchtig. Der Strauß fegte den leeren Abfallschacht. Von unten wehte kalte Luft herauf. Plötzlich sprach Remm, wer wird so exquisite Rosen wegwerfen?
    Dachte ich doch, ein Mikrofon war eingebaut. Odysseus zeigte sich ärgerlich, wir
hätten das Gestrüpp noch untersuchen müssen, wir müssen alles untersuchen,
müssen es aus dem Schacht zurückholen.
Wir müssen gar nichts, sagte Michaela.
    Wieder war etwas dazwischengekommen, als sie Odysseus lieben wollte. Wenn sie es recht bedachte, war es immer Remm, der sie auseinanderbrachte. Griff hier ein Schicksal ein wie in den alten griechischen Tragödien? Wie ihr Lieblingsdichter Euripides konnte sie es nicht lassen, ein Schicksal anzuzweifeln. Doch fest schien ihr zu stehen, sie käme mit Odysseus nur zusammen, wenn er

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