Der Utofant
Inventarisierung der Villa Remm. Das bestreitet niemand. Ich werde dir bestimmt kein Stückchen von deiner Arbeit wegnehmen. Ich will mich nur mit Remm unterhalten. Über Euripides. Ich will so etwas schreiben.
Michaela dachte, will ich das wirklich, in fünf Minuten muß ich zur Visionsbar rennen, sonst gibt es Ärger. Sie lief über den Kiesweg zur Pforte, wollte sich durch den Zaun zwängen, als sie hinter sich Odysseus hörte, der eine kleine Strickleiter über das Gitter warf. Benutze sie auch, sagte er, machst dich sonst dreckig. Eine scheußliche Klette bist du. Warum buddelst du nicht weiter?
Mir fiel ein, daß es gesetzliche Probleme hervorrufen kann. Ich habe auch schon eine Menge Fakten. Remm hat sich mit 51 Jahren in seine Villa zurückgezogen, mit 94 ist er gestorben, wie es heißt, dann hätte er 43 Jahre Zeit gehabt, den Butler und sich, also Remm II, zu schaffen. Er brauchte nicht alle Teile selbst anzufertigen. Ich war nicht untätig. Ich habe nachgeforscht, wofür Remm Überweisungen gemacht hat, Zahnlaboratorium, Labor für total ähnliche Körperteile und Innereien, Augen zum Beispiel, die nicht glasaugenmäßig starren, sondern sich auf den Blick des jeweiligen Gegenübers einstellen. Dafür hat er seine Erfindertantiemen zu Tausenden, es scheint sogar, zu Millionen verbraucht. Ich sah die Ablichtungen der Kontoauszüge. So ein Zeug wird noch aufbewahrt. Die meisten dieser Laboratorien existieren nicht mehr oder laufen unter anderen Namen, aber sieben Jahre vor Remms Tod hören die Überweisungen plötzlich auf, da hatte er die beiden Typen schon fertig. Leuchtet doch ein. Wenn dir das so einleuchtet, wozu buddelst du noch?
Man muß alle Möglichkeiten beachten. Entweder ist der Remm in der Villa echt oder der im Grab, oder der in der Villa ist ein Sohn des Remm oder ein Doppelgänger, oder er ist ein perfekter Automat. Da gäbe es eine Möglichkeit. Man bemächtigt sich dieses Remm in der Villa und seines Butlers und schleppt sie in den Seziersaal. Aber wenn es Menschen sind, ist es schwere Körperverletzung, sogar Mord, kann lebenslänglich einbringen. Wenn es Automaten sind, können Sprengsätze eingebaut sein, die alles und in erster Linie mich in die Luft jagen. Und welche Möglichkeit willst du ergreifen?
Ich muß etwas spezifisch Menschliches an ihm finden, was spezifisch Menschliches, das muß ich provozieren, um seine Automatenschaft zu widerlegen. Gehen wir morgen zu ihm.
Meinetwegen, gehen wir, sagte Odysseus, aber misch dich nicht dauernd ein, misch dich nicht ein.
Gegen eins, auf dem Nachhauseweg von der Visionsbar, konnte es Michaela nicht lassen, noch einmal an der Villa Remm vorbeizustreichen. Sie war sicher, daß der Schatten, der quer durch den Garten zu hüpfen schien, auf die bunten Nebel zurückzuführen war, die vor ihren Augen in der Bar auf und nieder wallten. Ich muß dringend schlafen, dachte sie, rief aber noch einmal bei Odysseus an. Ja, ich bin da, ja, mir geht’s gut, sagte Odysseus. Warst du irgendwann einmal allein bei Remm, vielleicht heute? Nein, sagte er, wie kommst du darauf?
Ganz glaubte sie ihm nicht, aber konnte sie das Gegenteil beweisen?
Nach ihren neuen Besuchen bei Remm zeigte sich Odysseus friedlicher. Man kann wieder mit ihm reden, dachte Michaela, vielleicht, weil der Erfolg ausbleibt.
Nach dem siebenten Besuch kamen beide niedergeschlagen zurück.
Unheimlich, sagte Michaela, wie er auf jede Frage antwortet. Du kannst ihn fragen, was du willst; wie haben Sie es nur geschafft, Herr Remm, so alt zu werden, schon legt er ein System dar, das reicht von Yoga, kalten Waschungen, Sauna, Haustees, Langschlaf im Dunkeln und bei gereinigter Luft, Hormonspritzen, Diätplänen bis zur Beschäftigung mit geistigen Problemen, praktisch eine Enzyklopädie der Geriatrie. Und fragst du ihn, wann man dabei noch Zeit zum Leben findet, antwortet er, das hängt von der Dosierung ab, und rechnet es dir auch gleich vor. Ach, es ist deprimierend.
Aber auch imponierend, sagte Odysseus, er kann die Antworten sogar auf englisch, italienisch, französisch, spanisch, russisch, arabisch, lateinisch, griechisch, hebräisch geben.
Und dabei redet er nicht automatenhaft, er hustet, stottert, sagt öfter äh, als ob er sich besinnen müßte. Das kann ja alles eingegeben sein, kann alles eingegeben sein.
Aber zu seinem eigenen Problem, da hätten wir ihn noch mehr fragen sollen. Wie hat man ihn beleidigt, was hat man ihm getan. Es scheint ihm peinlich, das zu erzählen,
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