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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Institut (auf Vertragsbasis) regelmäßig die Förderbänder für die Archivcontainer, pflegt pünktlich zu erscheinen, zu prüfen und wortlos abzugehen, verhält sich also wie der häufigst vorkommende Menschentypus unserer Zeit. Am heutigen Abend hörte ich erstmalig seine Stimme. Sie klang wie das Organ von Schwerhörigen oder Tauben, die Lautstärke und Tonfärbung nicht kontrollieren können, gepreßt und monoton: Ich habe Fund.
    Herrn J.s Benehmen, als er den Fund aus seiner Schultertasche holte, erschien mir ungeschickt und gleichzeitig besorgt, als fürchte er, das Fundgut zu beschädigen, das er aus Hüllen von Plastic-Papirol sowie Metallic-Folie wickelte. Er ließ es auf der letzten Hülle liegen und sagte: Fassen Sie es an.
    Der Fund bestand aus einer Folie mutmaßlichen Papirols, weiß, 30 cm lang und 21 breit, zweimal geknifft und beiderseits mit Text bedeckt, der manuell verfertigt zu sein schien.
    Herr J. erklärte gepreßt und monoton, er nehme an, der Fund sei zufällig in seine Tasche hineingeraten, als er im Institut die Förderbänder überprüfte, er habe ihn in seinem eigenen Korridor gefunden, wo er vielleicht aus seiner Tasche herausgefallen sei. Da er nicht ihm gehöre, liefere er ihn ab, ein wissenschaftliches Objekt vielleicht, er stehle nicht bei seinen Kunden.
    Ich fragte J. ob er nicht einen sogenannten Umschlag gefunden hätte, der jenen Text umhüllte, ein Viereck etwa, dessen Ecken, nach innen umgebogen, eine Tasche bildeten. J. wiederholte, er stehle nicht bei seinen Kunden. Tasche nicht bei, Stück Folie – alles.
    Die anderen Hüllen habe er selbst herumgewickelt, er gehe mit gefundenen Sa
chen sorgfältig um, er schädige nicht Sachen seiner Kunden, er sagte: Nicht
meins. Will’s loswerden. Nicht Ihres?
Dann Fundbüro.
    Dies wollte ich nun doch verhindern. Es sind bereits zu viele antike Grammophone, Staubsauger, Rasiergeräte, Teemaschinen, Mixtulpen, Lachsäcke von Ignoranten beim Umwühlen der Erde zerbrochen, erst gar nicht geborgen oder in eigennützige Antiquitätensammlungen übergeführt und so der Forschung vorenthalten worden, als daß ich dieses Stück in einem Fundbüro hätte verstauben lassen dürfen. Ich numerierte die mutmaßliche Folie Papirol als V-Objekt 07, bedankte mich bei J. und sicherte ihm eine Bergungsprämie zu, falls sich der Fund als prähistorisch bzw. historisch wichtig erweisen sollte.

    Prüfbericht über das V-Objekt 07

    1. Das Material des Objektes besteht
    a) aus dem Objektträger, der sich aus einem papirogenen Gemisch (fünfzig zu fünfzig) Zellfasern und Polyplastose zusammensetzt. Es handelt sich dabei um ein Material, das derzeit in technischen Büros für Datenzusammenstellungen benutzt wird und eine große Haltbarkeit aufweist sowie abwaschbar ist. Seit etwa einem Jahr befindet es sich auf dem Markt, ist von mittlerer Durchscheinbarkeit. Vor eine Lichtquelle gehalten, zeigt es ein Muster, das aus den Daten seiner Zusammensetzung gebildet ist.
    b) aus dem Medium (flüssig, haftend, unlöschbar) Textol, das, in entsprechende Texthersteller gefüllt, auf dem Objektträger das Objekt, den Text, durch Zeichen ausgedrückt, unlöschbar befestigt. Textol gibt es auch für leicht transportable Handtexter, im vorliegenden Fall wurde der Text von Hand auf den Objektträger gebracht, wodurch individuell von den Maschinennormen abweichende Zeichen entstanden sind. Die Abweichung entstellt jedoch die Zeichen nicht bis zur Unkenntlichkeit. Das Textbild wirkt fließend, aber noch klar. Ungewohnt erscheint der Umfang der von Hand auf dem Objektträger befestigten Zeichen. Transportable Handtexter werden üblicherweise nur für Kurz-Zeichen, allenfalls für ein Aussagekonzentrat von maximal drei Worten in Betrieb genommen. Längere Zeichenreihen werden mittels elektronischer Texthersteller auf den Objektträgern befestigt.

    2. Der Charakter des Objekts
    ist formal mit dem Charakter eines sogenannten persönlichen Briefes (letter, lettre, littera) zu vergleichen, welcher noch im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts eine gelegentlich geübte Ausdrucksmöglichkeit darstellte, heute nachweislich aber nicht mehr vorkommt. Daraus, daß es sich nicht um eine reine Form des Briefes handelt, Empfänger und Absender fehlen, ein Umschlag (couvert) wurde nicht benutzt, läßt sich der Schluß ziehen, daß es sich nicht um einen Fall bewußten brieflichen Ausdrucks oder Auslasses handelt, somit also nicht eigentlich ein Brief (letter, lettre, littera) vorliegt.

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