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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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den Couchtisch. Dort traf sie auch wieder auf ihren Ehemann, der jetzt eine alte Hose trug, die vom Gewicht seiner Hände in jeder Tasche ein Loch hatte. Während des Essens hielten sie die Augen auf den Fernseher gerichtet. Sobald sie fertig waren, stand Balthazar Jones auf, um abzuwaschen, was er nun nie mehr vor sich herschob, weil er auf diese Weise den Raum verlassen konnte. Als er fertig war, stieg er über Mrs. Cook hinweg und ging in Richtung Tür.
    »Was meinst du, wie Milo jetzt wohl aussehen würde?«, fragte Hebe Jones plötzlich, als er nach dem Türriegel griff.
    Er erstarrte. »Keine Ahnung«, antwortete er, ohne sich umzudrehen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieg er die Wendeltreppe hoch. Die abgewetzte Stelle an seinen karierten Pantoffeln wurde wegen des alten Gesteins um ihn herum immer größer. Im Obergeschoss tastete er in der Dunkelheit nach dem Türriegel zu dem Raum, den seine Ehefrau nicht betrat, weil ihr die Kreidezeichnungen der deutschen U-Boot-Männer aus dem Zweiten Weltkrieg einen Schauer über den Rücken jagten. Er schaltete das Licht an und ließ die Nacht hinter den Gitterfenstern noch dunkler werden. Dann setzte er sich auf den Stuhl vor dem Tisch, nahm einen Stift und schrieb eine weitere Ladung Briefe, die ihm, wie er hoffte, ein zweites Mitglied für seinen Sankt-Heribert-von-Köln-Club bescheren würden. Zwei Etagen unter ihm saß Hebe Jones und versuchte, sich ihre Frage selbst zu beantworten, als plötzlich mit aller Macht die Risse in ihrem Herzen wieder aufbrachen.

KAPITEL SIEBEN
    An dem Tag, als die exotischen Tiere in den Tower zurückkehrten, versagte Mrs. Cooks uraltes Gedärm. Balthazar Jones entdeckte das Malheur, als er in den frühen Morgenstunden ins Bad ging. Er hatte nicht geschlafen, weil er immer noch nicht den Mut gefunden hatte, seine Ehefrau von der bevorstehenden Ankunft der Tiere in Kenntnis zu setzen. Eigentlich hatte er gehofft, dass sich die Neuigkeit schon bis zu ihr herumgesprochen haben würde und ihm die schwierige Aufgabe erspart bliebe, aber seine Frau war immer noch vollkommen ahnungslos. Vermutlich lag das daran, dass sie sämtliche sozialen Aktivitäten in der Festung aufgegeben hatte, einschließlich der Unsitte, sich unter Anleitung einer der Beefeater-Frauen, die den Joga-Kult propagierte, zu mysteriösen Positionen zu verrenken.
    Er saß im Dunkeln im Badezimmer, das Schlafanzugbein bis zum Knie hochgeschoben, und wischte Mrs. Cooks Hinterlassenschaften von seinem Fuß ab. Hinter dem Gitterfenster sah er die Themse, in der sich bereits der Glanz eines neuen Tages spiegelte. Als er auf den Tower-Kai hinabschaute, dachte er daran, wie er Milo einst von der Landung der ersten Strauße Englands erzählt hatte. Sie waren ein Geschenk des Beys von Tunis gewesen, eines nordafrikanischen Herrschers aus dem achtzehnten Jahrhundert. Balthazar Jones und sein Sohn hatten es sich auf dem Rasen vor dem White Tower im Liegestuhl bequem gemacht, während die verhassten Touristen längst für den Tag ausgesperrt worden waren. Nachdem er ihm ein Glas Limonade gereicht hatte, erzählte der Beefeater dem Jungen, wie die neugierige Menge, die sich bei der Landung des Schiffes versammelt hatte, entsetzt zurückwich, als zwei riesige Vögel die Gangway herabschritten, ihr staubiges Federkleid schüttelten und eine ganze Ladung übelriechender Exkremente absonderten.
    »Die Londoner schauderte es beim Anblick ihrer scheußlichen zwei-zehigen Füße«, fuhr er fort, »und als ein stolzes Besatzungsmitglied mit einem orangefarbenen Turban ein Ei von der Größe eines Kopfes hochhielt, schnappten alle nach Luft. Das Entsetzen der Umstehenden nahm noch zu, als die Vögel mit ihren langen, glänzenden Wimpern klimperten und ihre bedauernswert kleinen Köpfe vorreckten, um den erstbesten Zuschauern einen Perlenknopf und eine Tonpfeife zu entreißen und sie sofort hinunterzuschlucken. Schnell wurden die beiden Tiere in ein überdachtes Gehege gebracht, aus dem sie nicht davonfliegen konnten. Es dauerte allerdings nicht lange, bis der erste von ihnen starb, weil ihn die Tower-Besucher, unter denen das Gerücht umging, die Vögel könnten Eisen verdauen, ständig mit Nägeln gefüttert hatten.«
    Milo hörte schweigend zu und klammerte sich an die Armlehnen seines Liegestuhls. Anschließend küsste er seinen Vater auf die Wange und lief davon, um mit den anderen Kindern im Festungsgraben Fahrrad zu fahren. Balthazar Jones verschwendete keinen

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