Der verborgene Charme der Schildkröte
sein Schlafzimmer gedrungen und hatte in ihm das Bedürfnis nach einer Zigarette geweckt. Er war im Bett liegen geblieben und hatte sich die Decke bis ans Kinn hochgezogen, in größter Sorge nicht nur wegen seiner Kartoffeln, sondern auch wegen der Etruskerspitzmaus Ihrer Majestät.
Als er und seine Frau in den Tower gezogen waren, hatte es sie gewundert, dass ein derart großes Haus leer stand. Sie hörten, dass die Vormieter jetzt in einem der kleinen Reihenhäuser an der Mint Street wohnten, und nahmen an, dass die Familie die Nase voll gehabt hatte von den zugenagelten Fenstern, den verstopften Kaminen und den zahlreichen Schlössern an der Tür. Also zogen sie die Nägel heraus, brachten die Kamine wieder in Schuss und schlossen nachts nur ein Schloss ab. Hand in Hand suchten sie Tapeten aus und fingen an, die nikotingelben Wände abzukratzen. Dabei hörten sie ihre alten Schallplatten auf dem Grammophon, das man ihnen vor all der Zeit zur Hochzeit geschenkt hatte. Bald darauf entdeckten sie die unheilvollen Warnungen, die die Kinder der Vormieter an die Wände gekritzelt hatten, taten sie aber als kindische Fantastereien ab. Sie renovierten weiter und schwangen ihre reifen Hüften zu der Musik, zu der sie als Frischverliebte getanzt hatten.
Das Glück begann sich zu trüben, als die Ehefrau des Yeoman Gaoler ihm vorwarf, er habe wieder zu rauchen angefangen, was er energisch bestritt. Jede Weigerung zuzugeben, dass er dem verfluchten Laster wieder erlegen sei, brachte sie nur noch mehr in Rage. Und obwohl sie jeden Verwandten, dessen Leben durch das Rauchen dramatisch verkürzt worden war, namentlich aufzählte, wurde das Haus jede Nacht vollgequalmt. Sie war überzeugt davon, dass ihr Ehemann eines grausamen frühen Todes sterben würde, verließ den Tower und suchte sich einen anderen, was bei ihren nicht gerade spärlichen weiblichen Reizen nicht lange dauerte.
Der Yeoman Gaoler, den der Anblick des Grammophons zu Tränen rührte, hielt es in seinem leeren Heim nicht aus, und so verbrachte er die Abende fortan im Rack & Ruin. Die anderen Beefeater brüsteten sich, wenn sie mal nicht mit ihren heroischen Taten bei der Army angaben, mit ihren Geisterbegegnungen im Tower, die sie mit noch größerer Bravour gemeistert haben wollten. Einige glaubten, die Schreie Margaret Poles gehört zu haben, der Herzogin von Salisbury, die nach einem misslungenen Hieb ihres Henkers mit der Axt von ihm verfolgt worden war. Andere hatten die weiße Gestalt von Thomas Morus auf einem Stuhl in der Kapelle sitzen sehen. Und alle behaupteten sie steif und fest, dass sie Zeuge des grauenhaften Todes der Protestantin Anne Askew geworden seien, der einzigen Frau, die je auf der Streckbank zu Tode gekommen war. Stets hörte der Yeoman Gaoler aufmerksam zu, aber niemals gab er preis, dass sich der Geist von Sir Walter Raleigh in seinem Haus niedergelassen hatte und ihn in größere Panik versetzte als alles, was er je auf dem Schlachtfeld erlebt hatte.
Der Geist war zurückgekehrt, um den zweiten Band der Geschichte der Welt zu schreiben. Der erste Band, den Sir Walter Raleigh während seiner dreizehnjährigen Haft geschrieben hatte, war sofort ein riesiger Erfolg gewesen und hatte sich besser verkauft als die gesammelten Werke von Shakespeare. In der Annahme, der Folgeband würde ihm ebenso leicht von der Hand gehen, hatte er zwischen Globen und aufgerollten Karten an seinem alten Schreibtisch im Bloody Tower gesessen, war dann aber von dem quälenden Syndrom des zweiten Buchs befallen worden. Mit nikotinfleckigen Zähnen hatte er an seiner Feder gekaut, verzweifelt nach Wörtern gesucht und sich schließlich eingeredet, dass der Erfolg seines Erstlings einfach nur mit der nostalgischen Liebe zu dem Mann, dem England die Einführung der Kartoffel verdankte, zu tun hatte. Nicht einmal das Ale, das ihm der ebenso geisterhafte Fährmann Owen brachte, konnte etwas dagegen ausrichten.
Der Yeoman Gaoler drückte die kalte Türklinke hinunter, öffnete die Kapellentür und trat ein. Rev. Septimus Drew verrenkte sich gerade bei dem wütenden Versuch, mit rosafarbenen Gummihandschuhen Kaugummi unter der Sitzfläche einer Bank abzuknibbeln.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, verkündete der Yeoman Gaoler, als er durch den Hauptgang schritt.
Der Geistliche richtete sich auf und stemmte seine rosafarbenen Handgelenke in die Hüfte.
»Geburt, Hochzeit oder Tod?«, fragte er.
»Exorzismus.«
Als Hebe Jones von ihrem erfolglosen Besuch bei Mrs.
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