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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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Wieder schoss es die Pampelmuse mit der Schnauze weit von sich, lief hinterher und ließ die Schwanzquaste wie eine Flagge über seinen prächtigen Hinterbacken flattern. Wieder schaute es den Beefeater an, aber der starrte vor sich hin und ließ sich zu keinerlei Beifallsbekundungen hinreißen. Langsam trottete das Schwein durchs Stroh, legte sich neben ihn und presste das Hinterteil gegen seinen Oberschenkel.
    Die Feuchtigkeit, die in seinen Uniformrock eindrang, bemerkte der Beefeater gar nicht, als er zum soundsovielten Mal darüber nachdachte, wo seine Frau wohl die Nacht verbracht hatte. Er hoffte, dass sie nicht gefroren hatte ohne ihr Nachthemd. Plötzlich lief es ihm kalt den Rücken runter, als er sich vorstellte, dass sie die nötige Wärme in den Armen eines anderen fand. Er nahm einen Strohhalm, zerknickte ihn zwischen seinen Fingern und dachte an den Tag vor all den Jahren, als sie versprochen hatte, immer nur ihm allein zu gehören.
    Zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung hatte er Hebe Grammatikos zu den Schwimmteichen von Hampstead mitgenommen, und zwar aus dem einzigen Grund, dass er sie in ihrem roten Bikini sehen wollte. Nach der Ankunft begab sie sich in ihrer neuen Badekluft sofort in eine horizontale Position und ließ ihr Haar wie einen schwarzen Heiligenschein über das Gras am Ufer wallen. Als er sie ins Wasser locken wollte, erklärte sie, es sei zu kalt. Damals erlebte das Land allerdings eine Rekordhitze, die sogar zum Rücktritt eines Wetterexperten geführt hatte, weil er vorausgesagt hatte, dass mit anhaltender Bewölkung zu rechnen sei. Balthazar Jones ließ das Argument also nicht gelten und konnte Hebe Grammatikos schließlich dazu überreden, ins Wasser zu gehen. Erst als der junge Soldat, nachdem er schnell seinen Fotoapparat geholt hatte, vom Ufer aus nach ihr Ausschau hielt, kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht gar nicht schwimmen konnte. Er sah sie nämlich lautlos im trüben Wasser unter den herabhängenden Eichenästen versinken und erst ein paar Sekunden später wieder auftauchen, das Haar wie eine Öllache auf dem Wasser treibend.
    Als sie erneut unterging, stürzte er sich sofort ins Wasser und versuchte verzweifelt, zu ihr zu gelangen. Er holte Luft und tauchte unter, konnte aber in den trüben Tiefen ihren Körper nicht erkennen. Erst als die Verzweiflung seine Sinne schärfte, sah er plötzlich in der Ferne eine schwarze Haarsträhne wabern. Nachdem er ihren aalglatten, glitschigen Körper gepackt hatte, schleppte er sie zum Ufer zurück. Dort hielt er sie in den Armen, sah ihr in die rollenden Augen und fragte sie, ob sie ihn heiraten wolle, da er sich lieber mit der sterbenden Hebe Grammatikos verlobe als mit einer anderen, lebendigen Frau.
    Als sie im Krankenhaus, noch ein Stück Seegras im Mund, wieder zu sich kam, gratulierten ihr die Krankenschwestern nicht nur dazu, dass sie überlebt hatte, sondern auch dazu, dass sie nun verlobt war. In der glutvollen Phase, die darauf folgte, verloren sich die beiden in den Armen des jeweils anderen und kamen oft auf diesen Heiratsantrag zu sprechen, der so ungleich romantischer war als alles, was Balthazar Jones sich hätte ausdenken können. Einzig die Tatsache, dass sie sich gar nicht daran erinnern konnte, dass Balthazar Jones um ihre Hand angehalten hatte, trübte Hebe Jones’ Glück. Ihre Erinnerungen endeten mit dem Moment, in dem sie ins Wasser gegangen war und darauf gehofft hatte, die Fähigkeit zu schwimmen würde wie ein Wunder über sie kommen. Und jedes Mal, wenn sie Balthazar Jones fragte, was sie auf seinen Antrag geantwortet hatte, zitierte er einen der obskuren Sprüche ihrer Großeltern: »Es ist besser, seinen Esel anzubinden, als ihn suchen zu müssen.«
    Ein Grunzen des träumenden Bartschweins riss den Beefeater aus seinen Erinnerungen. Vorsichtig stand er auf, um das Tier nicht zu stören, schaute auf die Uhr, klopfte sich den Staub von der Kleidung und eilte dann los, um sich noch einmal mit dem Mann vom Palast zu treffen, bevor die Menagerie eröffnet werden würde.
    Als er die Tür des Rack & Ruin öffnete, sah er Oswin Fielding bereits am Tisch neben dem gerahmten Autogramm von Rudolf Heß sitzen. Er ging zur Wirtin, bestellte einen Orangensaft, obwohl er lieber ein Bier getrunken hätte, und schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch, an denen etliche der Beefeater gerade zu Mittag aßen. Gegenüber dem persönlichen Diener Ihrer Majestät nahm er Platz.
    »Tut mir leid, die Sache mit

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