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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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er im Laufe der Ehe entdeckt hatte, wobei ihm mit der Zeit sogar ihre Sturheit als etwas Bewundernswürdiges vorgekommen war. Eines aber war sonnenklar: Niemand würde sie je so lieben wie er.
    Der Beefeater zuckte zusammen, als sich plötzlich geräuschvoll die Eichentür öffnete, und auch die Tukane stoben auf und malten mit ihren Schnäbeln, die nach Meinung der Azteken aus Regenbogen gemacht waren, bunte Kreise in die Luft. Als er sich umblickte, sah er Rev. Septimus Drew in der Tür stehen.
    »Da bist du ja«, sagte der Kaplan und schaute Balthazar Jones durchs Gitter hindurch an. »Ich dachte, du solltest wissen, dass soeben eine Herde Gnus eingetroffen ist. Der Chief Yeoman Warder hat bereits Oswin Fielding angerufen, damit er sie abholt.«
    Die beiden Männer schauten sich an.
    »Darf ich hereinkommen?«, fragte der Geistliche.
    »Wenn du keine abrupten Bewegungen machst. Das jagt den Vögeln Angst ein.«
    Mit seinen langen, heiligen Fingern öffnete der Kaplan die Gittertür und zog sie hinter sich wieder zu. Bewundernd schaute er zu den ohrenbetäubend kreischenden, wild im Kreise herumflatternden Vögeln mit den bunten Schnäbeln auf. Schließlich landeten ihre schuppigen grauen Füße mit einem dumpfen Geräusch neben dem Lovebird-Weibchen, das seinen juwelengleichen Kopf zur Seite geneigt hatte und den Geistlichen eindringlich musterte.
    Balthazar Jones zog eine Handvoll Sonnenblumenkerne aus seiner Uniformtasche und reichte sie dem Kaplan. »Wenn du die Kerne in der Hand hältst und den Arm beugst, kommt das Lovebird-Weibchen und hockt sich auf deine Schulter«, sagte er.
    Rev. Septimus Drew nahm die Kerne, setzte sich an die gegenüberliegende Wand und streckte seine übermäßig langen Beine aus. Es dauerte nicht lange, und der Vogel landete in einem pfirsichfarben-grünen Wirbel auf der Schulter des Geistlichen und hackte mit dem Schnabel nach dem Futter. Als er alles aufgefressen hatte, schob er sich zum Gesicht des Kaplans vor und rieb seinen Kopf an seiner Wange.
    »Sie mag dich«, sagte der Beefeater.
    »Wenigstens eine«, antwortete Rev. Septimus Drew. »Was ist denn mit dem da los?«
    Der Beefeater sah auf den Albatros hinab. »Es gefällt ihm nicht, dass er von seiner Gefährtin getrennt wurde«, antwortete er.
    Ein langes Schweigen trat ein, als die Gedanken beider Männer in dieselbe finstere Ecke trieben.
    »Wie lange ist Hebe nun fort? Einen Monat?«, fragte der Kaplan.
    Balthazar Jones nickte.
    »Wird sie zurückkommen?«
    »Nein.«
    Erneutes Schweigen.
    »Was hast du getan, um sie zur Rückkehr zu bewegen?«
    Der Beefeater antwortete nicht.
    »Wäre es nicht einen Versuch wert?«, fragte Rev. Septimus Drew. »Wenn sie meine Frau wäre, würde ich den gesamten Rest meines Lebens über versuchen, sie zurückzubekommen.«
    Der Beefeater schaute weiterhin auf seine Hände. Verleitet durch die vertraute Nähe der Vögel, sagte er schließlich: »Ich kann nicht mehr lieben.«
    Eine Pause trat ein.
    »Schenk ihr ein bisschen von der Liebe, die die Vögel von dir bekommen«, sagte der Geistliche. Ein pfirsichfarben-grüner Flügelwirbel, und der Vogel kehrte auf seinen Ast zurück. Rev. Septimus Drew sah auf seine Uhr, stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Als er die Tür der Voliere öffnete, drehte der Beefeater den Kopf und fragte: »Und wessen Kugel steckte nun in der Tür des Rack & Ruin?«
    Der Geistliche blieb stehen und schaute ihn an. »Keine Ahnung. Ich hatte mir das damals auf dem Weg ausgedacht, um dich aufzumuntern«, antwortete er, und dann hörte man nichts mehr als das hallende Geräusch seiner großen Füße auf der alten Wendeltreppe.
    Hebe Jones zog das Gitter herunter und läutete damit die heilige Stunde des zweiten Frühstücks ein. Das Elend lastete schwer auf ihrem Magen. In den letzten Wochen hatte sie oft daran gedacht, sich selbst einen Snack mitzubringen, um den allvormittäglich unter ihrer Bluse grollenden Donner zu beruhigen, aber das wäre zu grausam gewesen gegenüber einer Frau, die wegen ihrer stattlichen Statur nicht vor den Tücken des Alltags in eine Zauberkiste flüchten konnte. So stellte sie sich also auf Apfelviertelchen ein und wischte den Staub von der Urne. Valerie Jennings näherte sich mit einer Tasse, die den unverkennbaren Geruch von Lady-Grey-Tee ausströmte: Bergamotteöl und Orangen- und Zitronenschale. Außerdem stellte sie ihrer Kollegin einen Teller hin, auf dem ein gigantisches buttriges Teilchen mit kandierten Früchten

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