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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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Giraffen«, fuhr sie fort. »Von wem waren die noch mal?«
    Der Blick des Beefeaters fiel auf die Ikea-Tüte in seiner Hand. »Von den Schweden«, antwortete er.
    Nachdem er die Helmbasilisken gefüttert hatte, eilte Balthazar Jones durch den Regen zum Develin Tower und hoffte, dem Bartschwein würde sein neuer Ball gefallen. Gerade als er am White Tower vorbeikam, hörte er Schritte hinter sich. Das Nächste, was er wahrnahm, war, dass er gegen die Mauer gepresst wurde und eine Hand ihm die Kehle abschnürte.
    »Welches Tier war das?«, fragte der Rabenmeister.
    »War was?«, brachte der Beefeater mit Mühe hervor.
    »Welches Tier hat meinen Vogel gerissen?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    Der Rabenmeister rückte mit dem Gesicht ganz nah an Balthazar Jones heran. »Ich habe Edmund auf dem Rasen gefunden. Seine Beine und sein Hals waren gebrochen. Wer war das?«, wiederholte er.
    »Sie sind alle eingesperrt. Immer.«
    Die Hand des Rabenmeisters krallte sich noch fester um seinen Hals. »Eines muss ausgerissen sein«, zischte er.
    »Vielleicht war es ein Fuchs. Oder der Hund des Chief Yeoman Warders«, krächzte Balthazar Jones.
    »Ich weiß, dass es irgendetwas mit Ihnen zu tun hat«, sagte der Rabenmeister und zeigte mit seinem schwarzen Lederfinger auf ihn, als er sich entfernte.
    Als er wieder Luft bekam, rückte Balthazar Jones seinen Hut zurecht und hob die Ikea-Tüte mit der Steckrübe auf. Obwohl es so gar nicht zu dem Bartschwein passte, fragte er sich, ob es dahinterstecken könnte, denn es war das einzige Tier, nach welchem er am Morgen noch nicht geschaut hatte. Als er aber den Turm erreichte, sah er, dass die Tür wie immer verschlossen war. Er schaute über die Schulter, um sicherzugehen, dass er nicht beobachtet wurde, und schloss auf. Sobald er den Raum betrat, schoss das Tier auf ihn zu und ließ die Schwanzquaste wie eine Flagge über seinen prächtigen Hinterbacken flattern. Nachdem er es hinter den Ohren gekratzt hatte, hielt er ihm das Wurzelgemüse hin, das es sofort über den Boden schoss, um ihm dann hinterherzujagen. Balthazar Jones setzte sich ins Stroh, lehnte seinen Rücken an die kalte Wand und schloss die Augen. Mit den Fingerspitzen betastete er seinen Hals.
    Nach einer Weile griff er in seine Uniformjacke und zog ein paar der Liebesbriefe hervor, die er Hebe Jones vor all den Jahren geschickt hatte. Er hatte sie in der Nacht, als er nicht schlafen konnte, aus ihrem Versteck in der Wand geholt, hatte sich aber nicht überwinden können, sie zu lesen. Auf dem ersten Umschlag stand in vor Liebe verworrener, krakeliger Schrift Hebe Grammatikos’ Adresse. Er nahm den Brief heraus. Während er las, dachte er an das Mädchen mit den schwarzen, an ihrem türkisfarbenen Kleid herabwallenden Haaren und den Augen eines Rehkitzes, mit denen sie ihn in dem Eckladen angeschaut hatte. Er dachte an ihre erste gemeinsame Nacht und an das Entsetzen, als ihnen klar geworden war, dass sie sich am Morgen würden trennen müssen. Er erinnerte sich daran, wie sie an einem Wochenende in Orford zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, nachdem ein Stromausfall im Jolly Sailor Inn, das aus den Planken eines untergegangenen Schiffes errichtet worden war, sie früher auf ihr Zimmer getrieben hatte. Im Licht der Kerze, die ihnen die Wirtin gegeben hatte, waren die alten Wandgemälde von Schiffen mit geblähten Segeln vor ihnen aufgeleuchtet. Nachdem sie ihre Liebe besiegelt hatten, hatten sie sich versprochen, zusammenzubleiben, bis ihnen die dritten Zähne wachsen würden, wie sie es über einen hundertjährigen Inder gelesen hatten.
    Als das Bartschwein zu ihm kam und seine behaarte Wange auf seinen Oberschenkel legte, entfaltete der Beefeater einen weiteren Brief und spürte den heißen Atem des Tiers durch die Hose. Nachdem er den Erguss absoluter Hingabe gelesen hatte, dachte er an den Schmetterling, der während ihrer Trauung über den Kirchenbänken herumgeflattert war und sämtliche Mitglieder der Familie Grammatikos in Verzückung versetzt hatte, weil man sich ein besseres Omen gar nicht wünschen konnte. Er erinnerte sich, dass sie gelobt hatten, auf immer und ewig zusammenzubleiben, egal, was das Leben bringen mochte, und dass es damals gar nicht anders denkbar gewesen wäre. An der gealterten Hand, die jetzt den vor so langer Zeit geschriebenen Brief hielt, sah er den verkratzten Goldring, der den Finger nie verlassen hatte, seit er ihm vor so langer Zeit von seiner Braut angesteckt

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