Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Königin, die sich sehnlichst ein Kind wünschte. Sie war eine traurige Königin, denn der König war oft auf Reisen und ließ sie allein zurück in ihrem riesigen Schloss, wo ihr nichts anderes übrig blieb, als über ihre Einsamkeit zu grübeln und sich zu fragen, wie ihr Ehemann, den sie so sehr liebte, es ertragen konnte, so häufig und für so lange Zeit von ihr getrennt zu sein.
Vor vielen Jahren hatte der König den Thron von seiner rechtmäßigen
Eigentümerin, der Feenkönigin, gestohlen, und das schöne, friedliche Feenreich hatte sich über Nacht in ein freudloses Land verwandelt, wo Magie nicht länger blühte und das Lachen verstummt war. Darüber war der König so erzürnt, dass er kurzerhand beschloss, die Feenkönigin zu fangen und sie gewaltsam ins Königreich zurückzuholen. Ein goldener Käfig wurde gebaut, in den der König die Feenkönigin einsperren wollte, damit sie ihn mit ihrer Magie erfreute.
An einem Wintertag, als der König wieder einmal unterwegs war, saß die Königin mit ihrem Nähzeug am offenen Fenster und schaute auf die schneebedeckte Landschaft hinaus. Sie weinte bitterlich, denn der trostlose Winter erinnerte sie immer an ihre Einsamkeit. Während sie die karge Winterlandschaft betrachtete, dachte sie an ihren nutzlosen Schoß. »Ach, wie sehr ich mir ein Kind wünsche!«, rief sie aus. »Eine schöne Tochter mit einem aufrichtigen Herzen und Augen, die sich nie mit Tränen füllen. Dann werde ich nie wieder einsam sein.«
Der Winter verging, und die Welt erwachte wieder zu neuem Leben. Die Vögel kehrten ins Königreich zurück und bauten ihre Nester, Rehe grasten auf den Feldern an den Waldrändern, und an allen Bäumen des Königreichs zeigten sich zarte Knospen. Als die ersten Feldlerchen sich in die Lüfte erhoben, begann das Kleid der Königin um die Taille herum zu spannen, und da erkannte sie, dass sie ein Kind in sich trug. Der König war nicht im Schloss gewesen, und so wusste die Königin, dass es nur eine Fee gewesen sein konnte, die verborgen im winterlichen Garten ihr Weinen gehört und ihr durch Zauberkraft ihren innigsten Wunsch erfüllt hatte.
Der Bauch der Königin wurde immer runder, der nächste Winter kam, und als sich am Heiligabend eine dichte Schneedecke über das Land legte, wurde die Königin von starken Schmerzen gequält. Viele Stunden lag sie in den Wehen, und als die Uhr Mitternacht schlug, gebar sie eine Tochter. Endlich konnte die Königin
das Gesicht ihres Kindes betrachten. Sie wollte es kaum glauben, dass dieses wunderschöne Kind mit der makellos weißen Haut, dem dunklen Haar und dem Mund wie eine rote Rosenknospe ganz ihr gehörte! »Rosalind«, sagte die Königin. »Ich werde sie Rosalind nennen.«
Die Königin liebte ihre Tochter über alles und ließ Prinzessin Rosalind nie mehr aus den Augen. Die Einsamkeit hatte die Königin verbittert gemacht, die Verbitterung hatte sie egoistisch gemacht, und ihr Egoismus hatte sie misstrauisch gemacht. Hinter jeder Ecke vermutete die Königin einen Bösewicht, der auf der Lauer lag, um ihre Tochter zu rauben. Sie hat mich gerettet, dachte die Königin, und deshalb soll sie für immer mir allein gehören.
An dem Tag, als Prinzessin Rosalind getauft werden sollte, waren die weisesten Frauen aus dem ganzen Land eingeladen, dem Kind ihren Segen zu geben. Viele Stunden lang sah die Königin zu, wie eine nach der anderen ihrer Tochter Anmut, Klugheit und Weisheit wünschte. Als schließlich die Nacht über dem Königreich heraufzog, entließ die Königin die weisen Frauen. Sie hatte sich nur kurz abgewandt, und als sie sich wieder zu ihrem Kind umdrehte, sah sie, dass ein Gast geblieben war. Eine Gestalt in einem langen Gewand stand am Bettchen und betrachtete die schlafende Prinzessin.
»Es ist schon spät, weise Frau«, sagte die Königin. »Die Prinzessin ist gesegnet worden und hat jetzt ihren Schlaf verdient.«
Als die Frau ihren Umhang zurückschlug, stockte der Königin der Atem, denn ihr Gesicht war nicht das einer schönen weisen Frau, sondern das eines alten Hutzelweibs mit einem zahnlosen Lächeln.
»Ich komme mit einer Botschaft von der Feenkönigin«, sagte das Hutzelweib. »Das Mädchen gehört uns, und deshalb muss ich es mitnehmen.«
»Nein«, schrie die Königin und stürzte zum Bettchen der Prinzessin. »Sie ist meine Tochter, mein kostbares kleines Mädchen.«
» Deine Tochter?«, entgegnete das alte Weib. »Dieses prächtige Kind?« Und sie stieß ein so grässliches Lachen
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