Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
aus, dass die Königin mit Entsetzen vor ihr zurückwich. »Sie gehörte dir nur so lange, wie wir es zugelassen haben. Tief in deinem Herzen hast du von Anfang an gewusst, dass sie aus Feenstaub geboren ist, und jetzt musst du sie hergeben.«
Die Königin begann zu weinen, denn die Worte des alten Weibs waren das, wovor sie sich immer am meisten gefürchtet hatte. »Ich kann sie nicht hergeben«, sagte sie. »Hab Mitleid mit mir, altes Weib, und lass sie mich noch eine Weile behalten.«
Aber dem alten Weib gefiel es, Unheil zu stiften, und bei den Worten der Königin breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Du hast die Wahl«, sagte das Weib. »Gib das Kind jetzt heraus, dann wird es in der Obhut der Feenkönigin ein langes und glückliches Leben führen.«
»Oder?«, fragte die Königin.
»Oder du behältst sie bei dir. Aber nur bis zum Morgen ihres achtzehnten Geburtstags, wenn die Stunde ihrer wahren Bestimmung schlägt und sie dich für immer verlassen wird. Überleg es dir gut«, sagte sie, »denn je länger sie bei dir bleibt, desto mehr wirst du sie lieben.«
»Ich brauche nicht zu überlegen«, erwiderte die Königin. »Ich wähle die zweite Möglichkeit.«
Als die Alte lächelte, waren die dunklen Lücken zwischen ihren Zähnen deutlich zu sehen. »Dann gehört sie also dir, aber denk daran - nur bis zum Morgen ihres achtzehnten Geburtstags.«
In diesem Augenblick begann die Prinzessin zum ersten Mal zu weinen. Die Königin hob ihr Kind in die Arme, und als sie sich wieder umdrehte, war das Hutzelweib verschwunden.
Die Prinzessin wuchs zu einem schönen, heiteren Mädchen heran. Sie verzauberte das Meer mit ihrem Gesang und entlockte allen Menschen im Land ein Lächeln. Allen außer der Königin, denn vor lauter Angst um ihre Tochter konnte sie sich nicht an ihr
erfreuen. Wenn das Mädchen sang, hörte die Königin es nicht, wenn sie tanzte, sah die Königin es nicht, und wenn ihre Tochter sie anfasste, spürte sie nichts, so sehr war sie damit beschäftigt, die verbleibende Zeit zu berechnen, bis ihr Kind ihr genommen würde.
Während die Jahre ins Land gingen, wuchs die Angst der Königin vor dem schrecklichen Ereignis, das ihr bevorstand. Ihr Mund vergaß, wie es war, zu lächeln, und Falten gruben sich immer tiefer in ihre Stirn. Eines Nachts hatte sie einen Traum, in dem ihr das Hutzelweib erschien. »Deine Tochter ist schon fast zehn«, sprach das Weib. »Vergiss nicht, dass sie an ihrem achtzehnten Geburtstag ihrer wahren Bestimmung zugeführt wird.«
»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte die Königin. »Ich kann sie nicht gehen lassen und ich werde es auch nicht tun.«
»Du hast dein Wort gegeben«, erwiderte das alte Weib, »und zu deinem Wort musst du stehen.«
Am nächsten Morgen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Prinzessin in sicherer Obhut war, legte die Königin ihr Reitkostüm an und ließ ein Pferd satteln. Auch wenn die Magie aus dem Schloss vertrieben war, so gab es doch einen Ort, an dem Wunder und Zauberei vielleicht noch zu finden waren. In einer dunklen Höhle am Rand des verzauberten Meeres lebte eine Fee, die weder gut noch böse war. Sie war von der Feenkönigin bestraft worden, weil sie ihre Magie unklug angewendet hatte, und sie hatte sich dort versteckt, als alle anderen Feen geflohen waren. Die Königin wusste, dass es gefährlich war, von der Fee Hilfe zu erbitten, aber sie war ihre einzige Hoffnung.
Drei Tage und drei Nächte ritt die Königin, und als sie schließlich die Höhle erreichte, wurde sie schon von der Fee erwartet. »Komm«, sagte die Fee, »und lass mich wissen, was du begehrst.«
Die Königin berichtete getreulich von dem Besuch des Hutzelweibs, von seiner Drohung, am achtzehnten Geburtstag der Prinzessin zurückzukehren, und die Fee hörte ihr aufmerksam zu. Dann, als die Königin geendet hatte, sagte die Fee: »Ich kann den
Fluch des alten Weibs nicht rückgängig machen, aber ich kann dir vielleicht dennoch helfen.«
»Ich befehle es dir«, sagte die Königin.
»Ich muss dich warnen, meine Königin. Wenn du meinen Vorschlag hörst, wirst du mir vielleicht nicht dankbar sein für meine Hilfe.« Dann beugte die Fee sich vor und flüsterte der Königin etwas ins Ohr.
Die Königin zögerte nicht, denn gewiss war alles besser, als ihr Kind an das Hutzelweib zu verlieren. »So soll es also geschehen.«
Darauf reichte die Fee der Königin einen Zaubertrank und trug ihr auf, der Prinzessin an drei Abenden je drei
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