Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
fürchtete es um sein Leben.
Aber es gab keinen Ausweg. Nicht, solange ihr Vater in seinem Sessel neben der Tür saß.
Und so blieb Rose, wo sie war, die Knie eng gegen das ängstliche Herz gedrückt, das sie zu verraten drohte.
Es war das erste Mal, soweit sie sich erinnern konnte, dass sie
mit ihrem Vater allein war. Ihr fiel auf, dass seine Gegenwart den ganzen Raum ausfüllte und die Atmosphäre, die vorher so angenehm gewesen war, jetzt wie aufgeladen schien von Gefühlen und Emotionen, die Rose nicht verstand.
Schwere Schritte auf dem Teppich, dann ein schweres männliches Ausatmen, das ihr eine Gänsehaut verursachte.
»Wo bist du?«, fragte ihr Vater leise, dann noch einmal mit zusammengebissenen Zähnen. »Wo bist du nur?«
Rose hielt den Atem an und presste die Lippen zusammen. Sprach er mit ihr? Hatte ihr allwissender Vater irgendwie erraten, dass sie sich an einem Ort versteckt hielt, der ihr verboten war?
Ein Seufzen ihres Vaters - aus Kummer? Liebe? Müdigkeit? -, und dann sagte er: »Mein Püppchen.« So sanft, so ruhig, die gebrochene Stimme eines gebrochenen Mannes. »Mein Püppchen«, sagte ihr Vater noch einmal. »Wo bist du, meine Georgiana?«
Rose atmete aus. Erleichtert darüber, dass er ihre Anwesenheit nicht bemerkt hatte, und bekümmert, weil dieser sanfte Tonfall nicht ihr galt.
Und während sie die Wange gegen den Schreibtisch presste, schwor sie sich, dass eines Tages irgendjemand ihren Namen auf dieselbe Weise aussprechen würde …
»Nimm deine Hand herunter!« Mr Sargent war mit seiner Geduld am Ende. »Wenn du nicht endlich still hältst, dann verpasse ich dir drei Hände, und die Nachwelt wird dich so in Erinnerung behalten.«
Eliza stieß einen Seufzer aus, dann verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken.
Rose brannten die Augen von der Anstrengung, denselben Blick beizubehalten, und sie blinzelte ein paar Mal. Ihr Vater hatte inzwischen das Zimmer verlassen, doch seine Anwesenheit lag noch in der Luft, die Aura des Leidens, die er immer hinterließ.
Rose lugte noch einmal nach ihrem Tagebuch. Das eingeklebte
Stückchen Stoff hatte einen hübschen rosafarbenen Ton, der gut zu ihren dunklen Haaren passen würde.
Während all der Jahre, die sie krank in ihrem Zimmer verbracht hatte, hatte Rose sich immer nur eins gewünscht, nämlich erwachsen zu werden. Den Einschränkungen der Kindheit zu entfliehen und endlich zu leben, sei es noch so kurz und erbärmlich, wie Milly Theale es in dem Buch von Henry James ausgedrückt hatte. Sie sehnte sich danach, sich zu verlieben, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Blackhurst zu verlassen und ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Weg von diesem Haus, weg von diesem Sofa, auf dem sie, weil Mama es so wollte, immer liegen musste, selbst wenn es ihr ganz gut ging. »Roses Sofa«, nannte Mama es. »Leg ein neue Decke auf Roses Sofa. Etwas, das sie etwas weniger blass aussehen lässt und den Glanz ihrer Haare mehr zur Geltung bringt.«
Und der Tag ihrer Flucht rückte immer näher, davon war Rose überzeugt. Endlich war Mama zu der Einsicht gelangt, dass Rose gesund genug war, Verehrer zu empfangen. Während der vergangenen Monate hatte Mama eine ganze Reihe infrage kommender junger (und auch weniger junger!) Männer nach Blackhurst eingeladen. Es waren durch die Bank Dummköpfe gewesen - Eliza hatte Rose nach jedem Besuch stundenlang damit unterhalten, die Charaktere nachzuahmen -, aber sie boten ihr Gelegenheit, ihrem Auftreten den letzten Schliff zu geben. Denn der perfekte Gentleman war irgendwo da draußen und wartete auf sie. Er würde ganz anders sein als ihr Vater, er würde ein Künstler sein, mit dem Gespür des Künstlers für Schönheit und Vielfalt, einer, dem Reichtum und Herkunft nichts bedeuteten. Der offen wäre und unkompliziert, und dessen Leidenschaften und Träume seine Augen zum Leuchten brächten. Und der sie lieben würde, nur sie allein.
Neben ihr schnaubte Eliza ungeduldig. »Wirklich, Mr Sargent«, sagte sie, »ich könnte mich selbst schneller porträtieren.«
Ihr Ehemann würde sein wie Eliza, dachte Rose, und ein Lächeln huschte über ihr entspanntes Gesicht. Der Gentleman, den sie suchte, wäre eine männliche Inkarnation ihrer Cousine.
Endlich ließ ihr Zuchtmeister sie frei. Tennyson hatte recht, schon in jungen Jahren zu rosten, war unvorstellbar langweilig. Eliza riss sich das lächerliche Kleid vom Leib, das ihr Tante Adeline für das Porträt aufgedrängt hatte. Es war
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