Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Tropfen davon zu geben. »Alles wird so sein, wie ich es erklärt habe. Das alte Weiblein wird dich nie wieder belästigen, denn nur ihre wahre Bestimmung wird die Prinzessin finden.«
Die Königin eilte nach Hause, zum ersten Mal seit der Taufe ihrer Tochter war ihr leicht ums Herz, und an den nächsten drei Abenden gab sie heimlich jeweils drei Tropfen des Zaubertranks in die Milch des Mädchens. Als die Prinzessin am dritten Abend von ihrem Glas trank, begann sie zu würgen. Dann fiel sie vom Stuhl und verwandelte sich augenblicklich in einen schönen Vogel, genau wie die Fee es der Königin vorhergesagt hatte. Der Vogel flatterte im Zimmer umher, und die Königin rief nach ihrer Dienerin, um sich den goldenen Käfig aus dem Zimmer des Königs bringen zu lassen. Der Vogel wurde eingesperrt, die goldene Tür geschlossen, und die Königin atmete erleichtert auf. Denn der König war klug gewesen, und sein Käfig ließ sich, nachdem er einmal geschlossen worden war, nicht wieder öffnen.
»So, meine Schöne«, sagte die Königin. »Jetzt bist du in Sicherheit, und niemand wird dich mir wegnehmen.« Dann hängte die Königin den Käfig an einen Haken im höchsten Turmzimmer des Schlosses.
Aber nachdem die Prinzessin in ihrem Käfig gefangen war, wich alles Licht aus dem Königreich, ewiger Winter legte sich über das
Land und seine Bewohner, die Ernte verfaulte, und die Erde wurde unfruchtbar. Das Einzige, was die Menschen davon abhielt, in tiefe Verzweiflung zu verfallen, war der Gesang des Prinzessinnenvogels - traurig und wunderschön -, der aus dem Turmfenster drang und bis in den letzten Winkel des trostlosen Reiches zu hören war.
Die Zeit verging, und über die Jahre kamen Prinzen, angestachelt von ihrer Gier, von nah und fern, um die Prinzessin zu befreien. Denn es hieß, im ausgedorrten Feenreich gebe es einen goldenen Käfig von unermesslichem Wert, und in dem Käfig sei ein Vogel eingesperrt, bei dessen wunderschönem Gesang Goldstücke vom Himmel fielen. Doch alle, die versuchten, den Vogel zu befreien, fielen tot um, sobald sie den goldenen Käfig nur berührten. Die Königin, die Tag und Nacht in ihrem Schaukelstuhl saß und den Käfig bewachte, damit niemand ihren Schatz stehlen konnte, schüttelte sich beim Anblick der toten Prinzen vor Lachen, denn Angst und Misstrauen hatten ihr mittlerweile den Verstand geraubt.
Einige Jahre später kam der jüngste Sohn eines Holzfällers aus einem fernen Land in das Königreich. Während er im Wald arbeitete, trug der Wind eine Melodie an sein Ohr, die so lieblich klang, dass er nicht anders konnte als zu lauschen, und mitten in einem Axthieb innehielt, als wäre er zu Stein erstarrt. Und weil er dem Gesang nicht zu widerstehen vermochte, legte er seine Axt nieder und machte sich auf die Suche nach dem Vogel, der so traurig und so herrlich singen konnte. Auf seinem Weg durch den überwucherten Wald kamen ihm Vögel und andere Tiere zu Hilfe, und der Sohn des Holzfällers dankte ihnen dafür, denn er hatte ein sanftes Wesen und konnte sich mit allen Lebewesen verständigen. Er kletterte durch Brombeergestrüpp, lief über Felder, stieg auf Berge, schlief nachts in Baumhöhlen, ernährte sich von Beeren und Nüssen, bis er endlich vor den Schlossmauern stand.
»Wie bist du in dieses verlassene Land gekommen?«, fragte der Wächter.
»Ich bin dem Gesang eures wunderschönen Vogels gefolgt.«
»Kehr um, wenn dir dein Leben lieb ist«, sagte der Wächter. »Denn über diesem Königreich liegt ein Fluch, und wer auch immer den Käfig des traurigen Vogels berührt, ist verloren.«
»Ich besitze nichts und ich habe auch nichts zu verlieren«, erwiderte der Sohn des Holzfällers. »Und ich muss unbedingt mit eigenen Augen sehen, wer diesen wunderschönen Gesang hervorbringt.«
Just zu dieser Zeit war die Prinzessin achtzehn Jahre alt geworden und stimmte ihr traurigstes und schönstes Lied an, in dem sie den Verlust ihrer Jugend und ihrer Freiheit beklagte.
Der Wächter trat beiseite, und der junge Mann ging ins Schloss und stieg die Stufen in das oberste Turmzimmer hinauf.
Als der Sohn des Holzfällers den gefangenen Vogel in seinem Käfig erblickte, ging ihm das Herz über vor Mitleid, denn er konnte es nicht ertragen, einen Vogel oder ein anderes Lebewesen eingesperrt zu sehen. So groß war sein Mitgefühl, dass er nichts mehr sah als den Vogel hinter den Gitterstäben. Er streckte die Hand nach der Tür des Käfigs aus, und als er sie berührte, sprang sie
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