Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
enger Freund eines der jüngeren Söhne der Irvings.«
Adeline hatte Mühe, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten. Noch war nicht alles verloren, die Malerei war durchaus ein nobles Hobby …
Mrs Hastings setzte zum entscheidenden Schlag an: »Es heißt, der junge Irving hätte ihn auf der Straße kennengelernt! Er ist der Sohn von Einwanderern, noch dazu aus Polen. Er mag sich vielleicht Walker nennen, aber ich bezweifle, dass dieser Name in seinen Papieren steht. Ich habe gehört, er verdient seinen Lebensunterhalt mit Bildern.«
»Mit Ölporträts?«
»Ach, woher, nichts dergleichen. Hingekritzelte Kohlezeichnungen, soweit ich weiß.« Sie musste sich sichtlich beherrschen, um sich ihre Schadenfreude nicht anmerken zu lassen. »Ein beachtlicher gesellschaftlicher Aufstieg. Die Eltern sind katholisch, sein Vater war Hafenarbeiter.«
Adeline hätte am liebsten laut geschrien. Mrs Hastings lehnte sich auf ihrem vergoldeten Stuhl zurück und lächelte voller Genugtuung. »Aber es kann doch nichts schaden, wenn ein junges Ding mal mit einem gut aussehenden Mann tanzt, oder?«
Adeline verbarg ihre Panik unter einem geübten Lächeln. »Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte sie.
Aber wie sollte sie das glauben, wo ihr doch schon jetzt die Erinnerung an eine junge Frau deutlich vor Augen stand, die auf einer Klippe in Cornwall mit großen Augen und überquellendem Herzen einen jungen Mann anschaute, der ihr so viel zu versprechen schien? Oh, es konnte durchaus großer Schaden entstehen, wenn eine junge Frau sich von den oberflächlichen Aufmerksamkeiten eines attraktiven jungen Mannes betören ließ.
Die Woche verging, mehr war dazu nicht zu sagen. Abend für Abend begleitete Adeline ihre Tochter zu Partys und Empfängen, wo sie geeigneten jungen Gentlemen vorgestellt wurde. Sie wartete
und hoffte sehnsüchtig darauf, einen Funken von Interesse in Roses Augen aufblitzen zu sehen. Aber jeden Abend wurde sie enttäuscht. Rose hatte nur noch Augen für Nathaniel, und er, wie es schien, nur für sie. Wie eine Frau in den Klauen einer gefährlichen Hysterie war Rose gefangen und unerreichbar. Adeline musste sich zusammenreißen, um ihr nicht mit der flachen Hand auf die Wangen zu schlagen, Wangen, die auf eine Weise glühten, wie es sich für eine anständige junge Dame einfach nicht gehörte.
Auch Adeline fühlte sich regelrecht verfolgt von Nathaniels Gesicht. Bei jedem Dinner, jeder Lesung und auf jeder Party, an der sie teilnahmen, schaute sie sich als Allererstes unter den Anwesenden nach ihm um. Die Angst hatte in ihrem Kopf eine Schablone entstehen lassen, in der nur sein Gesicht deutlich zu erkennen war, während alle anderen verschwammen. Manchmal sah sie ihn sogar, wenn er gar nicht da war. Nachts träumte sie von Werften und Schiffen und armen Familien. Manchmal spielten die Träume in Yorkshire, und ihre eigenen Eltern traten darin in der Rolle von Nathaniels Eltern auf. Ach, wie schrecklich verwirrt sie war. Wer hätte gedacht, dass ihr so etwas jemals widerfahren würde?
Dann, eines Abends, geschah die Katastrophe. Sie hatten einen Ball besucht, und während der ganzen Fahrt mit der Kutsche zurück zum Hotel war Rose ungewöhnlich schweigsam gewesen. Es war das typische Schweigen, an dem man erkennt, dass jemand im Begriff steht, einen wichtigen Entschluss zu fassen, sich über etwas Klarheit zu verschaffen. Oder aber über ein lange gehütetes Geheimnis nachgrübelt, ehe er es in die Welt entlässt, wo es dann großen Schaden anrichtet.
Der schreckliche Augenblick kam, als Rose sich zum Zubettgehen bereit machte.
»Mama«, sagte sie, während sie sich das Haar bürstete, »ich möchte dir etwas mitteilen.« Dann die Worte, die gefürchteten
Worte. Unsterbliche Liebe … Schicksal … für immer und ewig …
»Du bist noch jung«, fiel Adeline Rose hastig ins Wort. »Es ist verständlich, dass du eine herzliche Freundschaft für Liebe hältst.«
»Ich empfinde nicht nur Freundschaft, Mama.«
Adeline brach der Schweiß aus. »Das kann nur in einer Katastrophe enden. Er bringt nichts mit in die …«
»Er bringt sich selbst mit in die Ehe, und das ist alles, was ich brauche.«
Diese Beharrlichkeit, diese unfassbare Zuversicht. »Ein Beweis für deine Naivität, meine liebe Rose, und für dein jugendliches Alter.«
»Ich bin nicht zu jung, um zu wissen, was ich will, Mama. Ich bin inzwischen neunzehn. Hast du mich nicht mit nach New York genommen, damit ich den Mann finde, den das Schicksal für mich
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