Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
bestimmt hat?«
»Dieser Mann ist dir nicht vom Schicksal bestimmt«, erwiderte Adeline gepresst.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich bin deine Mutter.« Wie kläglich das klang. »Du bist eine solche Schönheit, stammst aus einer angesehenen Familie, und doch gibst du dich freiwillig mit so wenig zufrieden?«
Rose seufzte leise, und es klang, als wolle sie das Gespräch damit beenden. »Ich liebe ihn, Mama.«
Adeline schloss die Augen. Die Jugend! Was konnten die vernünftigsten Argumente gegen die Macht dieser drei Worte ausrichten? Dass ihre Tochter, ihr kostbarster Trumpf, sie so leicht aussprechen konnte, noch dazu in Bezug auf einen derartigen Mann!
»Und er liebt mich auch, Mama. Er hat es mir gesagt.«
Adeline blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Die über alles geliebte Tochter, geblendet von törichter Leidenschaft. Wie
sollte sie ihr beibringen, dass man das Herz eines Mannes nicht so leicht gewinnen und erst recht nicht leicht behalten konnte?
»Du wirst schon sehen«, sagte Rose. »Ich werde bis an mein Lebensende glücklich und zufrieden leben, genau wie die Prinzessin in Elizas Märchen. Sie hat es aufgeschrieben, weißt du, fast als hätte sie geahnt, dass es so kommen würde.«
Eliza! Adeline kochte vor Wut. Selbst hier, so weit weg von England, stellte das Mädchen noch eine Gefahr dar. Ihr Einfluss reichte bis über den Ozean hinaus, ihre bösen Einflüsterungen ruinierten Roses Zukunft und verleiteten sie dazu, den größten Fehler ihres Lebens zu begehen.
Adeline presste die Lippen zusammen. Sie hatte ihrer Tochter nicht zahllose Male bei der Genesung von allen möglichen Krankheiten beigestanden, nur um jetzt tatenlos mit anzusehen, wie Rose sich für eine Ehe mit einem mittellosen Mann wegwarf. »Du musst die Beziehung aufgeben. Er wird das verstehen. Er muss von Anfang an gewusst haben, dass wir das nie und nimmer gestatten würden.«
»Wir sind verlobt, Mama. Er hat um meine Hand angehalten, und ich habe Ja gesagt.«
»Du wirst die Verlobung lösen.«
»Nein, das werde ich nicht.«
Adeline musste sich gegen die Wand lehnen. »Du wirst von der Gesellschaft gemieden werden und im Haus deines Vaters nicht mehr willkommen sein.«
»Dann bleibe ich eben hier, wo ich willkommen bin. Im Haus von Nathaniels Familie.«
Wie hatte es so weit kommen können, dass ihre Rose solche Dinge sagte? Dinge, die ihrer Mutter das Herz brachen. In Adelines Kopf drehte sich alles, und sie musste sich hinsetzen.
»Tut mir leid, Mama«, sagte Rose ruhig, »aber ich werde meinen Entschluss nicht rückgängig machen. Ich kann es nicht. Bitte, verlang das nicht von mir.«
Danach hatten sie tagelang kein Wort miteinander gewechselt, bis auf kleine höfliche Floskeln, die zu unterlassen für sie beide undenkbar gewesen wäre. Rose glaubte, Adeline würde schmollen, aber das war nicht der Fall. Vielmehr war sie tief in Gedanken versunken. Adeline war schon immer in der Lage gewesen, ihren Gefühlen mit Logik beizukommen.
Die Gleichung, mit der sie es hier zu tun hatte, war nicht lösbar, und deshalb musste irgendein Faktor geändert werden. Wenn das nicht Roses Entschluss war - und das erschien ihr zunehmend unwahrscheinlich -, dann musste es der Verlobte sein. Er musste in einen Mann verwandelt werden, der die Hand ihrer Tochter verdiente, in jemanden, von dem die Leute mit Bewunderung sprachen und möglichst sogar mit Neid. Und Adeline hatte das Gefühl, dass sie genau wusste, wie sie das bewerkstelligen konnte.
Im Herzen jedes Mannes befindet sich eine Schwachstelle, ein Abgrund des Begehrens, und der Drang, dieses Verlangen zu stillen, ist so übermächtig, dass er alles andere im Leben eines Mannes überlagert. Adeline vermutete, dass Nathaniel Walkers Schwachstelle der Stolz war, und zwar von der gefährlichsten Sorte, es war der Stolz des armen Mannes. Der Ehrgeiz, sich selbst zu beweisen, nach Höherem zu streben und etwas Besseres zu werden als sein Vater. Auch ohne die Angaben über seine Lebensgeschichte, die Mrs Hastings ihr so süffisant unterbreitet hatte, war sich Adeline mit jedem Tag, an dem sie Nathaniel Walker erlebte, sicherer, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Sie sah es an seinem Gang, an seinen sorgfältig blank gewienerten Schuhen, seinem eilfertigen Lächeln und seinem lauten Lachen. Es waren untrügliche Zeichen, die ihn als einen Mann verrieten, der aus kleinen Verhältnissen stammte und an der glitzernden Welt der besseren Kreise geschnuppert hatte. Einen
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