Der verborgene Stern
eigene Nachforschungen anstellen. Wo der Stein registriert war beispielsweise und ob es in letzter Zeit einen Mord oder eine Schießerei mit einer 38er gegeben hatte.
All das wäre natürlich am effektivsten, wenn er es persönlich erledigte. Aber er wollte sie jetzt nicht allein lassen. Sie konnte Panik bekommen und verschwinden, und das durfte er auf keinen Fall riskieren. Genauso gut war es möglich, dass sie aufwachte, sich an alles erinnerte und zurück in ihr eigenes Leben ging, bevor er auch nur die Chance hatte, sie zu retten.
Und er wollte sie wirklich sehr gerne retten.
Während er die Tasche im Safe verstaute, seinen Computer anschaltete und sich ein paar Notizen machte, rief er sich immer wieder in Erinnerung, dass sie vielleicht einen Ehemann, sechs Kinder, zwanzig eifersüchtige Liebhaber und eine Liste von Vorstrafen hatte, die so lang war wie die Pennsylvania Avenue. Aber das war ihm egal.
Sie war seine Jungfrau in Not, und, verdammt, er würde sie retten.
Er erledigte einige Anrufe und kümmerte sich darum, dass ihre Fingerabdrücke bei seiner Kontaktperson bei der Polizei landeten. Dieser kleine Gefallen würde ihn höchstens eine Flasche feinsten Scotch kosten.
„Übrigens, Mick, wissen Sie etwas von einem Juwelenraub? Einem ziemlich großen?“
Cade konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Detective Mick Marshall seine Unterlagen durchwühlte, den Hörer unters Ohr geklemmt, mit schiefer Krawatte und drahtigem roten Haar, das ihm in alle Richtungen vom Kopf abstand.
„Wissen Sie etwas, Parris?“
„Hab nur so was gehört“, murmelte Cade beiläufig. „Falls es etwas Großes war, könnte ich einen Hinweis auf die Versicherungsgesellschaft brauchen. Irgendwie muss auch ich meine Miete zahlen, Mick.“
„Zum Teufel, ich weiß nicht, warum Sie nicht einfach gleich das ganze Gebäude kaufen, Sie reicher Junge.“
„Ich bin exzentrisch – so nennt man reiche Jungs, die sich mit Leuten wie Ihnen abgeben. Also, was wissen Sie?“
„Ich hab von nichts gehört.“
„Okay. Ich habe eine 38er Smith and Wesson.“ Cade drehte die Waffe in seiner Hand und leierte die Seriennummer herunter. „Können Sie sie für mich überprüfen?“
„Das macht schon zwei Flaschen Scotch, Parris.“
„Wofür sind Freunde denn da? Wo wir gerade dabei sind – wie geht es Doreen?“
„Prächtig. Vor allem, seit Sie ihr diese verdammten Tulpen mitgebracht haben. Ich bekomme gar nichts anderes mehr zu hören. Als ob ich Zeit hätte, nach Feierabend noch Blumensträuße pflücken zu gehen! Eigentlich sollte ich auf drei Flaschen Scotch erhöhen.“
„Wenn Sie etwas über den vermissten Klunker herausfinden, Mick, dann bekommen Sie eine ganze Kiste voll. Bis später.“
Cade legte auf und starrte düster auf den Bildschirm seines Computers. Mensch und Maschine – sie mussten jetzt einfach miteinander auskommen.
Er brauchte ungefähr dreimal so lange wie ein durchschnittlich intelligenter Zwölfjähriger, um in den Weiten des Internets zu finden, wonach er suchte.
Amnesie.
Cade trank noch eine Tasse Kaffee, und dann erfuhr er mehr über das menschliche Gehirn, als er jemals hatte wissen wollen. Für einen kurzen, unangenehmen Augenblick befürchtete er, dass Bailey vielleicht einen Tumor hatte. Und er selbst womöglich auch. Er durchlebte eine existenzielle Sorge um sein Stammhirn, bevor er wieder wusste, warum er seiner Mutter nie den Gefallen getan hatte, Medizin zu studieren.
Der menschliche Körper mit all seinen Tücken war einfach zu beängstigend. Eine tickende Zeitbombe. Nein, da setzte er sich lieber mit einer geladenen 38er auseinander als mit irgendwelchen inneren Organen.
Schließlich kam er einigermaßen erleichtert zu dem Schluss, dass Bailey vermutlich keinen Tumor hatte. Alle Zeichen deuteten auf eine hysterische Amnesie hin, die Stunden, im ungünstigen Fall auch Wochen dauern konnte. Monate. Manchmal sogar Jahre. Womit er im Grunde genauso viel wusste wie zu Anfang. Der Artikel deutete an, dass eine Amnesie ein Symptom und keine Krankheit war, und dass sie geheilt werden konnte, indem man den Grund des erlittenen Schocks fand und auflöste.
Und hier kam er ins Spiel. Cade Parris. Er hatte den Eindruck, dass ein guter Detektiv mindestens so qualifiziert war wie ein Arzt, um Baileys Problem zu beseitigen.
Sorgsam notierte er alle relevanten Ergebnisse, bevor er zufrieden nach oben lief, um Bailey ein paar frische Kleider herauszusuchen.
Sie wusste nicht, ob es Traum war oder
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