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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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gereist war. Zum Beweis zeigte er mir einen von Pollys Briefen. Ihre Worte der Liebe standen auf so dünnen Bögen, dass die Tinte das Blatt durchdrungen hatte und die Zeilen der darunterliegenden Seite kaum leserlich waren. Der Tag wird kommen, mein Liebster, an dem wir Feder und Papier nicht mehr brauchen. Wenn wir uns nur noch in den Armen liegen. Deine dich anbetende Polly.

    Nach seinen allabendlichen Briefen an Polly unterrichtete mich Nestor in Schreibkunde. Er sah mir zu, wie ich L um L formte, O um O rundete und lernte, die einzelnen Buchstaben zu verbinden.
    Ich hatte stets ein schlechtes Gewissen, wenn ich hinterher die Feder sinken ließ, denn ich hätte seine Freundlichkeit gern in irgendeiner Form erwidert. Ich hatte nur Teile meiner selbst zu verschenken (einen Kuss, eine Berührung), doch er wollte nichts. Er roch nach Pfeifentabak und Makassaröl, nach Wärme und einem fernen Ort. Anfangs hatte ich mir gewünscht, er wäre mein Vater, später dann, ich wäre seine Polly. Beides war weder angemessen noch gut, aber meine Zuneigung scherte sich nicht um Anstand.
    In Nestors Gegenwart vergaß ich Mrs. Wentworth und die Schmerzen wenigstens für eine kleine Weile. Ich saß noch am Tisch, wenn ich längst im Bett liegen sollte, und verwandelte meinen Namen in eine kunstvolle Kurvatur. Erst nach dem letzten Schwung des abschließenden h löste ich die Feder von der Seite, um Nestor zu beeindrucken.
    Â»Sie wird sich doch freuen, oder?«, fragte ich und blies den Sand von einem Brief, den ich an Mama schrieb. Im Grunde wusste ich, dass sie so etwas für Zeitverschwendung hielt, aber mir bedeutete es unendlich viel. Nun würden meine Herzensworte, ein Teil von mir, zu einem Rechteck gefaltet und dann nach Hause geschickt.
    Â»Sie wird sich, so möchte ich behaupten, sogar sehr freuen«, erwiderte Nestor, der hinter mir stand. In seiner Stimme schwang Gewissheit und vielleicht auch ein wenig Stolz mit.
    Er legte mir eine Hand auf die Schulter und schaute auf mein Werk. Ich hatte den Ärmel hochgeschoben, damit die Tinte nicht verwischte, und als ich zu Nestor aufsah, wanderte sein Blick zu meinen Striemen.
    Â»Mrs. Wentworth besitzt Sie nicht«, sagte er mit Blick auf meinen Arm. »Sie sind nicht ihr Eigentum.«
    Mama hatte einmal einen Zauber für eine Frau bewirkt, die sich aus einer Notlage befreien musste; sie war von ihrem Mann geschlagen worden, und seither, so sagte sie, sei er ihr fremd. Mama hatte aus einer Seite des Evening Star ein Bannmittel gemacht, das die Frau mitnehmen und zu Hause in einer Kerzenflamme verbrennen sollte – ein Herz in einem Herz, das Mama aus einer Doppelseite ausgeschnitten und mit dem Namen des Mannes beschriftet hatte. »Während das Herz verglüht, müssen Sie immer wieder Er besitzt mich nicht sagen. Sie dürfen erst aufhören, wenn es zu Asche zerfallen ist, sonst ist alles vergebens.«
    Hinterher war ich unter Mamas Tisch gekrochen und hatte die Papierschnipsel vom Boden aufgesammelt. Aus dem größten Stück hatte ich mir eine Kette aus Wunschpuppen gemacht. Ich hatte das Papier wie eine Ziehharmonika gefaltet und gehofft, dass noch genug von Mamas Zauberkraft darin wirkte, damit auch mein Wunsch wahr würde. Mit rostiger Schere hatte ich die Faltungen in runde Formen geschnitten und ihnen meinen Herzenswunsch zugeflüstert, bis die Gestalt eines Mädchens erschien. Ich hatte an seinen winzigen Armen gezogen und am Ende ein Dutzend Zwillingsmädchen zwischen den Händen gehalten. Jedes einzelne hatte meinen Wunsch an das nächste weitergegeben und so meine Aussicht auf Erfolg vervielfacht. »Ich will niemandem gehören«, hatte ich dem flatternden Streifen der Papiermädchen gesagt und sie dann unter einer losen Diele versteckt.
    Â»Ich kann Ihnen zur Flucht verhelfen«, flüsterte mir Nestor ins Ohr. »Sagen Sie mir, wenn Sie gehen wollen, und schon ist es getan.«
    Mein Herz raste. Seine Geste würde alles erfordern, was ich zu geben hatte. Selbst falls er es nicht von mir verlangen würde, ich müsste es anbieten. Ich stellte mir vor, wie er mich halten, mir über das Haar streicheln und meinen Hals mit warmen, sanften Küssen bedecken würde. Ich würde ihm erlauben, mich Polly zu nennen. Ich würde es niemals verraten.
    Â»Miss Fenwick, haben Sie verstanden?«, fragte er. »Ich biete Ihnen meine Hilfe an.«
    Â»Ich kann nicht

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