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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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Schreiben, so Nestor, hatte sie in einen solchen Zustand versetzt, dass »wir dankbar sein sollten, dass nichts nachgekommen ist«.
    Nestor trat jeden Morgen um halb elf durch die Tür und brachte die Post. Mrs. Wentworth schaute die Karten und Briefe durch, ungeduldig nach einem Wort ihres Gatten suchend. Die zahlreichen Dankesschreiben diverser Geschäftsinhaber warf sie beiseite ( Mr. Macy freut sich auf Ihren nächsten Besuch, Es ist Mr. A. T. Stewart ein persönliches Anliegen, Ihnen all Ihre Wünsche zu erfüllen, Mr. Tiffany weiß, was Frauenherzen höher schlagen lässt ), ordnete die Einladungen für die kommende Saison ( Wir bitten um die Ehre Ihres Erscheinens am … Ein Diner zu Ehren von … Wir feiern die Vermählung von … ) und wurde dabei noch erregter.
    Zwei Wochen, nachdem ich meiner Hoffnung mit Papier und Schere Gestalt verliehen hatte, traf ein Umschlag mit dem vertrauten W ein. Mrs. Wentworth drehte ihn mehrere Male hin und her, bevor sie endlich zum Brieföffner griff. Als sie die einzelne Seite, die das Innere barg, entfaltete, weiteten sich ihre Augen. Sie las stumm, doch ihre Lippen formten jedes Wort nach. Anschließend drückte sie den Brief ans Herz und legte ihn in die obere Schublade ihres Sekretärs.
    Â»Zwei Wochen, dann kehrt er heim«, sagte sie lächelnd.
    Ich lächelte auch. An Mamas Zauberkünsten war wohl doch etwas dran.
    Mrs. Wentworth traf sofort Vorbereitungen, damit für die Rückkehr des Gatten alles gerichtet war. Plötzlich mussten Blumen bestellt, Menüs entworfen und monatelang verschlossene Zimmer gelüftet und ausstaffiert werden. »Woher stammte der Brandy, der dir letztes Jahr zu Weihnachten so gut geschmeckt hat?«, fragte sie das Bildnis, die Stirn in nachdenklicher Anstrengung gefurcht.
    Sie weigerte sich sogar, ihren Lunch einzunehmen, blieb an ihrem Sekretär und schrieb Dutzende von Nachrichten – Aufträge, die es innerhalb der nächsten vierzehn Tage auszuführen galt. Als es drei Uhr schlug, dachte ich, sie würde den Nachmittagsspaziergang ebenfalls ausfallen lassen, aber sie wandte sich (wie immer) an mich und erklärte: »Miss Fenwick, es ist Zeit für die Promenade.«
    Mrs. Wentworths tägliche Promenade war selbstverständlich auf das Haus beschränkt. Um exakt fünfzehn Uhr hatte ich sie entsprechend zu kleiden, und dann, mit Sonnenschirm und Retikül bewaffnet, begann ihr Gang.

    Mir erschien das Ritual vollkommen sinnlos, doch Mrs. Wentworth nahm es sehr ernst. Sie blieb sogar hin und wieder stehen und schaute durch die Decke in das Blau eines imaginären Himmels oder durch eine Wand in ein erinnertes Schaufenster. Ich folgte ihr, die Gänge hin und her, die Stufen hinauf und hinab, auf unserem immergleichen, täglichen Weg.
    Am Ende der Eingangshalle hing ein gewaltiger Spiegel. Er reichte vom Boden bis zur Decke, sein überbordender goldener Rahmen aus Turteltäubchen und Früchten eine Hymne an die Natur. Mrs. Wentworth näherte sich seinem Glas stets aufmerksam, reckte die Schultern, korrigierte den Winkel ihres Sonnenschirms, hob das Kinn ein wenig höher, damit sie einen guten Eindruck auf ihr Spiegelbild machte. An dem Tag, als der Brief eingetroffen war, trat sie so dicht vor den Spiegel, bis die Nase das Glas berührte. Als der Spiegel unter ihren kurzen, eingeschnürten Atemzügen beschlug, wich sie einen Schritt zurück und begutachtete sich wieder selbst. »Mein Saum«, sagte sie mit Blick nach unten und bedeutete mir, eine winzige Knitterfalte an ihrem Rock zu glätten.
    Nachdem ich mich darum gekümmert hatte, richtete ich mich auf und sah mich im Spiegel. Meine Wangen waren voller Blutergüsse, meine Augen tief verschattet. Das Mädchen, das durch die Fenster der Second Avenue geschaut hatte, das auf Orientteppichen hatte liegen wollen, sich ein Zwinkern von dem Mann mit der großen Zigarre gewünscht und von schönen Seidenkleidern und Miss Keteltas’ weichen Federn geträumt hatte, dieses Mädchen war verschwunden.
    Mrs. Wentworth strich mir übers Haar. Sie ließ die Finger über meinen Zopf gleiten, zog sanft daran und zählte raunend jede Flechtung: » … aus Fünf und Sechs, so sagt die Hex’, mach’ Sieben und Acht, so ist’s vollbracht.«
    Ich entzog mich ihr. Nur dieses eine Mal konnte ich ihre Berührung nicht ertragen.
    Â»Komm sofort

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