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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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einer so breiten Halsbinde umwickelt, dass das Kinn beinah verschwand. Doch das müde Herabhängen des Kiefers konnte die Halsbinde (selbst unter der gewissenhaften Hand des Künstlers) nicht verbergen. Dunkle, forschende Augen blickten aus einer verdrossenen Miene und drückten eher Bedauern aus, weniger Erfüllung. Er posierte in einem Sessel, der weit größer und eindrucksvoller als der seiner Gattin am Schreibtisch vor ihm war, und hielt einen Gehstock in der Hand. An seiner Seite wachte ein Hund, dessen Abwesenheit in Haus und Leben von Mrs. Wentworth so befremdlich wie die seines Herrn war.
    Ich betrat den Raum zum ersten Mal, als ich Mrs. Wentworth am Nachmittag den Tee servierte. Sie stand, in tiefer Betrachtung versunken, vor dem Bildnis. Bevor sie sich setzte, ging sie ganz nah an das Gemälde, berührte kurz den Rahmen und sagte: »Ich warte.« Ihre Stimme war fest, der Mund beinah ein halbes Lächeln.
    Mitten während der Teezeit griff Mrs. Wentworth plötzlich nach dem Fächer, der an ihrem Arm hing, und schlug damit auf die Lehne. Als ich mich zu ihr wandte, legte sie die Fächerspitze an ihre Wange. Ich nahm an, dass sie ein Tropfen Tee störte, und griff rasch nach der Serviette.
    Doch sie wies das Tuch zurück und schüttelte den Kopf. »Sie sollen mich küssen, nicht abtupfen«, forderte sie.
    Â»Ja, Ma’am«, erwiderte ich und verbeugte mich leicht, bevor ich mich bückte und die Lippen auf ihre Wange hauchte. Es war ein flüchtiger Kuss, längst nicht so sanft wie der, den ich ihr am Morgen erst auf die Wange gedrückt hatte.
    Sie packte meinen Arm und sagte: »Du solltest wissen, was ich wünsche.«
    Â»Es tut mir leid, Mrs. Wentworth«, winselte ich und hoffte, nun würde sie loslassen.
    Das tat sie nicht. Sie hatte angesichts meiner gekünstelten und zögernden Zuneigung all ihre Beherrschung verloren und entschieden, mich dafür büßen zu lassen.
    Â»Knie dich hin und entblöße die Handgelenke«, befahl sie, die Augen zu wütenden Schlitzen verengt.
    Ihr Stimmungsumschwung hatte mich völlig verschreckt, und so schob ich die Ärmel bis über die Ellbogen, kniete mich hin und streckte beide Arme aus.
    Â»Ich will die weichen Innenseiten sehen«, murrte sie und wirbelte mit ihrem Fächer in der Luft herum, damit ich die Arme drehte. »Und du musst die Hände öffnen. Keine Fäuste.«
    Da ich nicht wusste, was geschehen würde, wenn ich mich ihrem Befehl widersetzte, gehorchte ich.
    Â»Schon besser«, sagte sie und hob die Hand, den Fächer fest umklammert. Dann schlug sie mir mit dem Deckstab so fest auf die Arme, dass ich schrie. Und bei einem Schlag sollte sie es nicht belassen.
    Â»Bitte«, jammerte ich, noch unter Schmerz, »ich werde mich bessern, das verspreche ich …«
    Doch mein Flehen blieb ungehört. Fünf, sechs, sieben rote Striemen zeichneten sich auf der zarten Haut meiner Unterarme ab und brannten dort. Mr. Wentworth und sein Hund schauten reglos aus dem Porträt hinaus, blind für so viel Grausamkeit, blind für meine Tränen.
    Mrs. Wentworth hatte den Fächer am Morgen erst aus einer Schublade voller Handschuhe und Strumpfbänder geholt. Er war wunderschön, Stäbe und Deckstäbe waren aus Bein, auf dem Seidenblatt prangte ein Drachen – der Schwanz gewunden, die Augen aufgerissen, die Zunge weit herausgestreckt.
    Ich hatte bei diesem Anblick an das tote Pferd im Straßengraben denken müssen, das ich als Kind gesehen hatte. Zwei Männer hatten sich wegen des Tiers gestritten – der eine keifte, dass er es nicht wegschaffen würde, der andere raunte etwas von Gift und Heimtücke. Bald schon hatte sich eine Horde von Straßenjungs um das Geschehen versammelt, es gab ein Geschubse, Gedränge und Geprahle, wer so mutig sei, es zu berühren, die Augen, ja, sogar die Pisse in den Mund zu nehmen. Allein der Kopf des Pferds war damals fast größer als ich selbst, trotzdem hatte ich mich neben das arme Tier gehockt, neben seinen Hals, und die Fliegen verscheucht, damit ich die Wimpern bestaunen und die samtene Schnauze streicheln konnte. Mit dem bloßen Knie hatte ich das Fell, mit all den gewundenen Narben von der Peitsche seines Herrn, gestreift. »Schlaf schön«, hatte ich dem Pferd gesagt, um ihm wenigstens etwas Gutes zu tun.
    Nachdem Mrs. Wentworth endlich fertig war, strich sie über meinen

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