Der verbotene Garten
winterlichen Balls zur Geltung kamen. Mrs. Wentworth hatte noch nicht bemerkt, dass einige Stücke fehlten, und mit ein wenig Glück würde der Diebstahl erst offenbar, wenn Nestor bereits fort war.
»Miss Fenwick«, rief Mrs. Wentworth, nachdem sie unter die Laken geschlüpft war. »Das war so ein anstrengender Tag. Würden Sie mich in den Schlaf singen?«
»Sicher, Maâam«, sagte ich und setzte mich auf den Bettrand. Sie hatte schon mehrfach verlangt, dass ich für sie sang und ihre Hand hielt, bis sie schlief. Von all meinen Pflichten war dies die einzige, die mir niemals lästig wurde. Ich fand es schön, dass meine Stimme als Letztes durch ihr Zimmer klang, dass Mrs. Wentworth meine Schritte, mein Gehen, nicht mehr wahrnahm.
»Was möchten Sie hören?«, fragte ich und griff nach ihrer Hand.
Sie strich über den Rand meines Wundverbands und sagte: »Mir ist alles recht, nur kein Lied von Mr. Pastor. Seine Stimmungen liegen mir so gar nicht.«
Ich sang »Tenting Tonight« und dann sämtliche Strophen von »Beautiful Dreamer«. Während »Hard Times Come Again No More« wurde ihre Hand endlich schlaff, und ihre Lippen öffneten sich im Traum.
»Warum nehmen Sie nicht alles, Nestor, und fliehen mit mir?«
»Oh, nein, Miss Fenwick, das kann ich nicht. Meiner lieben Polly wegen muss ich umsichtig sein. Ich nutze ihr doch nichts, wenn ich im Gefängnis sitze. Und davon abgesehen â wer sollte dann so süÃe kleine Mädchen wie Sie erretten?«
Thereâs a pale drooping maiden
Who toils her life away
With a warm heart whose better days are oâer:
Though her voice would be merry,
âTis sighing all the day â
Oh! Hard times come again no more.
âTis the song, the sigh of the weary,
Hard Times, Hard times, come again no more;
Many days you have lingered
Around my cabin door
Oh! Hard times, come again no more.
Sieh die bleiche, schlaffe Magd,
Die sich durch ihr Leben plagt,
Mit warmem Herz, desâ bessâre Tagâ vorüber sind.
Wiewohl die Stimme fröhlich klänge,
stimmt sie ein täglich Seufzen an â
Oh! Schwere Zeiten kommt nie mehr.
Dies Lied, das Seufzen der Beladenen,
Schwere Zeiten, Schwere Zeiten, kommt nie mehr;
So manche Tag und Nacht
Habt ihr vor meiner Tür verbracht.
Oh! Schwere Zeiten kommt nie mehr.
VIII
M ein Abschied war beinahe wie meine Ankunft â auf den Fliesen im Eingang hallten Schritte, die Standuhr tickte durch die Nacht. Ich sagte dem Putto auf der Treppe Lebewohl, dieses Mal berührte ich seine Wangen, Flügel, Zehen. Nestor wartete ungeduldig an der Tür.
Das Schwierigste am Diebstahl der Juwelen war gewesen, den Schlüssel zurückzulegen, ohne Mrs. Wentworth dabei zu wecken.
Der Schlüssel muss hinterher unbedingt an seinen Platz. Klopfen Sie auf Holz, aber wir beide sollten in einer glücklicheren Lage sein, wenn sie es irgendwann bemerkt.
Mrs. Wentworth bewahrte die Schatulle im Salon auf, den Schlüssel jedoch versteckte sie in einem kleinen Ingwertopf auf ihrem Nachttisch. Ich fand mich in ihrem Zimmer blind zurecht, so war es selbst im Dunkeln ein Leichtes, mir den Schlüssel zu nehmen .
Leider war ich dann, mit dem Schmuck schon in den Taschen, viel zu hastig. Der Schlüssel glitt mir aus den bandagierten Fingern und fiel klimpernd auf den Grund des Topfs. Mrs. Wentworth atmete rascher. Ich erstarrte. Doch glücklicherweise seufzte sie nur im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite.
Nestor hatte einen Kragen aus Perlen und Diamanten mit einem herzförmigen Anhänger gewollt, den er bald schon, so sagte er, bei einem Ladeninhaber auf der Clinton Street zu Geld machen würde. Er hatte bereits einige Ersparnisse für Pollys Passage nach New York zurückgelegt. Auch Caroline sollte ihren Anteil erhalten â für ihre Bereitwilligkeit, Mrs. Wentworth im Notfall abzulenken und alles zu vergessen, wenn wir es geschafft hatten.
Mein Anteil war ein schwerer goldener Armreif in Gestalt einer dreifach gewundenen Schlange. Die Augen bestanden aus Rubin, der Rücken war mit einer Reihe funkelnder grüner Steine besetzt. »Ein Zeichen der Zuneigung von Mr. Wentworth«, hatte Nestor gesagt. »Weihnachten 1869.« In jenem Jahr war ein entsetzlicher Streit zwischen dem Ehepaar ausgebrochen, weil Mr. Wentworth lieber eine Zitronentorte wollte als den traditionellen Christmas-Pudding nach
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