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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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Treppenstufen, vor Läden gekauert, schliefen Bettler und Kinder. Hier und da leuchtete ein Lämpchen oder eine Kerze hinter gekrümmten Scheiben und roten Vorhängen. Ich rieb die Hände aneinander und hauchte darauf. Mir wurde flau im Magen.
    Mama würde sicher wütend. Doch mit Glück würde sie mir so lange zuhören, bis ich ihr die Gründe für meine Flucht erklärt und ihr gesagt hatte, dass ich einen besseren Weg für uns beide wusste.
    Denn während ich in Mrs. Wentworths Schatulle gestöbert hatte, war mir etwas aufgegangen. Solange dies unentdeckt blieb, könnte es der Anfang einer weit größeren Sache sein. Der Gedanke, vielleicht auch in Zukunft mit Diebstahl davonzukommen, begeisterte mich ganz außerordentlich. Mein Erfolg als Diebin sollte meine Verteidigung gegen Mamas Wut sein. Stehlen, würde ich ihr entgegenhalten, war das Mittel zur Linderung all unserer Not.
    Sie wird sich wieder beruhigen , redete ich mir ein, als sich die Kutsche unaufhaltsam unserer Tür näherte. Ich muss sie nur dazu bringen, mir zuzuhören.
    Mrs. Devlin James , so würde ich meine Rede beginnen. Mama, du wirst zu einer zweiten Mrs. James.
    Mrs. James hatte in der Orchard Street gewohnt und Mama hin und wieder aufgesucht, um sich Rat in Herzensangelegenheiten zu holen. Sie war mit Devlin James (alias Patrick Silver, alias Patrick Gold, alias Patrick Dymond und dergleichen) verheiratet gewesen. Das Ehepaar hatte lange ein unauffälliges Leben geführt. Er hatte die Fahrwege der Straßenbahn gekehrt und den Maurern die Ziegel getragen, sie hatte Papiertüten gefaltet, die braunen Bögen einmal, zweimal, dreimal mit klebrigem, stinkendem Leim gefalzt. Bis Mr. James eines Tages auf die Idee kam, Profit aus dem Krieg zu schlagen.
    Die Union hielt all den Männern, die nicht in der Armee dienen wollten, ein Hintertürchen offen. Jeder Gentleman konnte sich mit dreihundert Dollar von seiner Pflicht freikaufen. Der einzige Haken war, er musste einen Ersatzmann stellen. Als der Krieg kein Ende nahm, stieg der Preis für Ersatzmänner bis auf über tausend Dollar. In New York und im gesamten Norden öffneten Agenturen, die sich auf die Vermittlung solcher Kontrakte spezialisierten. Jedes Stadtviertel besaß bald sein Substitutionsbüro, sein Ferrotypie-Atelier und seinen Einbalsamierungsservice, alles im Dienste des Soldaten.
    Eines Morgens im Frühjahr 1863 gab Mr. James seiner Frau einen Abschiedskuss und marschierte in ein solches Büro auf der Third Avenue. Das Dokument, das ihm »eine angemessene Entlohnung« für seinen Dienst versprach, unterschrieb er mit einem X . Das Geld sandte er gleich heim zu Mrs. James, die es in ihre Matratze stopfte. Im Verlauf der nächsten Monate wiederholte Mr. James dies gleich mehrere Male. Er schlüpfte davon, bevor er die Front erreichte, desertierte von der Wartungspflicht an der Telegrafenleitung, ließ sich vom Feind gefangen nehmen und entkam ihm sogleich auch wieder – und während all dessen wartete Mrs. James geduldig auf ihren Mann.
    Dann aber suchte Mr. James, als ihn ein weiterer, selbst gewährter Fronturlaub nach New York führte, eine Dame in der Mott Street auf – anstatt gleich zu seiner Frau zu gehen. Mrs. James wurde in ihrer Bitterkeit zu einer aufrechten Patriotin und zögerte nicht, ihren Mann wegen Erschleichung einer Belohnung anzuzeigen. »Ich kenne jemanden«, verkündete sie dem Polizisten in einer Dienststelle der Armee, »der seinem Land und seinem Weib gleich mehrfach untreu war.« Zwei Wochen später wurde ihr Mann von einem Erschießungskommando auf Governor’s Island exekutiert.
    Nachdem Mrs. James den Leichnam beweint und die Vorkehrungen für die Beerdigung getroffen hatte, packte sie ihre Matratze, zog nach Ohio und änderte ihren Namen. Ein Jahr später wurde aus ihr Mrs. Frederick C. Mills. Bald darauf schickte sie Mama einen Brief und wusste zu berichten, dass Mr. Mills ihr ein dreigeschossiges Haus mit Mansarde in Cincinnati gekauft habe.
    Â»Ich werde die ganze Arbeit machen«, würde ich Mama versprechen. »Ich nehme jede Stellung an, die du mir findest. Du kannst mich verkaufen, so oft du willst.« Dann, so malte ich mir aus, würde ich immer wieder heimkehren, in den Händen, was ich fassen konnte – Silber, Gold, Juwelen, Bargeld. Mama müsste nur auf ihrer Matratze sitzen und warten. Und falls etwas

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