Der verbotene Garten
schiefging, gab es ja noch Ohio.
»Es ist gleich dort«, sagte ich zu Nestor. »Sie können mich hier jederzeit absetzen.«
Das Pferd drehte die Ohren nach hinten, lauschte meinen Worten und wandte die Aufmerksamkeit dann wieder nach vorn. Die Zügel in Nestors Händen bewegten sich sanft mit dem Gang des Pferds auf und ab.
»Na schön«, sagte er und schaute mich mit besorgter Miene an. »Ich halte an der Ecke und warte, bis Sie im Haus sind.«
»Das geht nicht«, erklärte ich. »Die Burschen hier schlafen nie. Wenn die Ihre gute Kleidung sehen, drängen sie sich um die Kutsche, reiÃen Ihnen den Hut vom Kopf und den Mantel vom Leib. Schneiden das Zaumzeug los und stehlen auch das Pferd.«
»Ich will Sie aber in Sicherheit wissen«, beharrte Nestor.
»Dann fahren Sie im Kreis, wenn Sie unbedingt wollen, aber warten Sie nicht auf mich«, sagte ich. »Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich habe ein Ausweichquartier, falls sie mich verstöÃt.«
Nestor nickte und zog sachte an den Zügeln. Das Pferd schnaubte.
»Möge es Ihnen gut ergehen, Miss Fenwick«, sagte er und berührte meine Hand.
Einen kurzen Moment lang kamen mir Zweifel an meiner Entscheidung. »Wird sie sich ändern, wenn Mr. Wentworth heimkehrt?«, fragte ich. »Wäre es dann besser geworden?«
»Nein, meine Liebe, nur noch schlimmer.«
Mich von ihm zu verabschieden, fiel mir unerwartet schwer. Meine Wangen brannten, meine Kehle wurde eng, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich hoffte, dass er ohne mich wenigstens ein bisschen einsam wäre.
Dann sprang ich vom Sitz auf die StraÃe.
»Ich heiÃe Moth«, sagte ich, erwartete aber keine Antwort.
Jemand, den ich sehr schätze, sollte mir später einmal erläutern, dass Nestors Handlungen, obwohl sie meiner Rettung dienten, ebenso sträflich wie die von Mrs. Wentworth waren.
Seine Beweggründe waren nicht edel (genug).
Stimmt.
Er hat dich dazu überredet, ein Verbrechen zu begehen.
Stimmt.
Er hat zugelassen, dass dir Ãbles angetan wurde, um seine Zwecke zu verfolgen.
Möglicherweise.
25. September 1871
Spital der Stadt New York für
Bedürftige Frauen und Kinder
Second Avenue Nr. 128,
New York, New York
Wohin ich auch schaue, sie sind überall: Mädchen, von der eigenen Mutter, der Familie, der Gesellschaft im Stich gelassen.
Mandy Clarke, sechzehn Jahre. Sie wirkt so alt und müde wie eine Hure von der Fulton Street und hat Geschwüre und Schanker am ganzen Leib.
Penny Giles, dreizehn Jahre. Von ihrem Onkel entehrt.
Fran Tasch, neunzehn. Das Gesicht bei dem Versuch, sich mit Karbolsäure das Leben zu nehmen, elendig verätzt.
Unbekanntes Mädchen, zwischen neunzehn und fünfundzwanzig. Ihre Leiche wurde in einem Koffer in der Chambers Street Station gefunden. Die Todesursache war eine misslungene Abtreibung.
Und das waren nur die Mädchen, die ich heute sah.
S. F.
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IX
I ch drückte auf die Klinke, doch sie war blockiert. Ich klopfte an die Tür, zunächst vorsichtig, dann immer heftiger, am Ende schlug ich mit der Faust dagegen.
»Mama?« Keine Antwort.
Ich rief erneut, lauter diesmal. Sie hatte vor dem Schlafengehen sicher zu viel Dr. Godfreyâs in sich hineingeschüttet. »Mama, bist du da?«
Endlich ging die Tür auf. Aber die Frau, die mir entgegenschaute, war nicht Mama. An ihrer Stelle stand eine Fremde, eine hellhaarige Frau, in der Hand eine Leuchte, die Wangen vom Schlaf gezeichnet. Ãber den Schultern lag ein Schal mit schwarzen Fransen, Mama besaà auch so einen.
»Ich suche meine Mutter«, sagte ich der Fremden und bemühte mich, an ihr vorbei einen Blick ins Innere zu werfen.
Sie machte ein finsteres Gesicht. »Du Bettler â geh weg.«
Ihre Stimme war rau und ruppig, so als sollten ihre Worte in meinen Ohren steckenbleiben. Sie war, wie so viele Frauen in diesem
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