Der verbotene Garten
verkaufen können. Das Geld hätte mindestens für einen Monat gereicht. Doch selbst wenn unsere Mägen so laut knurrten, dass wir keinen Schlaf fanden, weigerte sich Mama, ihr Haar herzugeben.
Als wir einmal drei Tage lang nichts gegessen hatten, flehte ich sie an, sie möge mich zu Mr. Darling gehen lassen.
»Du willst es wohl unbedingt«, sagte sie, zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen. »Aber wenn du wahnsinnig wirst und nicht mehr weiÃt, wer du bist, glaub nicht, dass ich es dir dann sage.«
Hungrig und bereit, mich zu beweisen, war ich sofort aufgebrochen, überzeugt, dass die Eitelkeit, und nicht Mrs. Deerys Geist, Mama davon abhielt, sich von ihrem Haar zu trennen. Wenn sie zu Mr. Piers ging oder wusste, dass Mr. Cowan wegen der Miete kam, lieà sie immer eine lange Locke an ihrer Wange hinunterbaumeln, wickelte sich das Haar um den Finger und setzte einen so durchdringenden Blick auf, als wollte sie die Männer mit einem Bann belegen. Wenn sie merkte, dass ich zusah, zwinkerte sie mir verstohlen zu: Siehst du, Moth, so macht man das.
Ich wünschte nur, Mama hätte nicht immer die arme Mrs. Deery heraufbeschworen, damit ich mich fügte. Ich liebte Mama, ich wollte es ihr nach Kräften recht machen, vor allem aber wollte ich, dass sie mir die Wahrheit zugestand.
Vor Mr. Darlings Laden beobachtete ich das Kommen und Gehen der Frauen. Sie hatten sich Schals um den Kopf gewickelt, um ihr Opfer zu verhüllen. Eine Frau zupfte, als sie ihr Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe erblickte, an dem bisschen Haar herum, das ihr verblieben war. Sie zog es seitlich unter dem Tuch hervor und strich die kurzen Strähnen vor den Ohren glatt. Ob nun durch Zauber oder Not, die krönende Pracht war verloren, und sie niedergerungen.
Ich lieà Mr. Darling nicht an mein Haar. Ich ging hinter die Stände auf dem Tompkins-Markt und hob für Mr. Goodwin meinen Rock bis über die Knöchel. Für zwei angestoÃene Ãpfel und einen halben Laib altes Brot erlaubte ich ihm, seinen stacheligen Bart an meinem Bein zu reiben.
Ich ging heim, gab Mama das Brot und sagte: »Ich bin kein Kind mehr.«
Kurz nachdem Mrs. Wentworth geläutet hatte, eilte Nestor ins Zimmer. »Sie haben gerufen, Maâam?« Beim Anblick des Blutes, das von meiner Hand auf den Boden tropfte, verzog er entsetzt das Gesicht.
Mrs. Wentworth legte meinen Zopf in ihren Sekretär und winkte Nestor zu sich, als wollte sie ihm ein Geheimnis anvertrauen. »Wie Sie sehen können, gab es ein Missgeschick. Das Mädchen hat ein ziemliches Tohuwabohu angerichtet. Kümmern Sie sich darum.«
»Ja, Maâam«, erwiderte Nestor und verbeugte sich höflich, bevor er sich mir zuwandte.
»Und sagen Sie Caroline, dass ich sie umgehend sprechen will«, ergänzte Mrs. Wentworth. »Es gibt allerhand zu tun.«
»Gewiss«, antwortete Nestor. Er legte eine Hand an meinen Rücken und sagte: »Kommen Sie, Miss Fenwick.«
Kaum hatten wir die Tür hinter uns geschlossen, begann ich schon zu weinen.
»Sch, sch, leise«, flüsterte Nestor. »Wenn sie das hört, wird es nur noch schlimmer.«
Nestor brachte mich in die Küche, setzte mich an den Tisch und reinigte meine Hand in einer Schüssel. Das Blut trübte das Wasser rot ein. Ich hatte aberwitzige Angst, dass Mrs. Wentworth jeden Augenblick mit der Schere die Treppe herunterstürmen, mir das Kleid aufschlitzen und das Herz aus dem Leib schneiden würde.
»Trocknen Sie Ihre Hand ab«, wies mich Nestor an und hielt mir ein sauberes, weiÃes Geschirrtuch entgegen. »Und drücken Sie das auf die Wunde, bis die Blutung gestillt ist. Danach werde ich Sie verbinden.«
Ich nickte ihm zu, sagte aber kein Wort. Mein Kopf wackelte ohne sein zopfiges Steuerruder im Nacken haltlos herum â er hatte kein Gewicht, keinen Zweck, keinen Stolz.
»Sieht aus, als hätten wir das Ende von Chrystie Street erreicht«, verkündete Caroline, als sie in die Küche kam. Sie war im Salon gewesen und hatte sicher eine lange Liste mit Aufträgen erhalten.
»Still, Caroline«, sagte Nestor und riss ein Leinentuch in lange dünne Streifen. »Das ist nun wirklich nicht nötig.«
Caroline ging schmollend zu ihrem Gewürzschrank und holte eine groÃe braune Flasche heraus. »Tauch das Tuch in Foucherâs, bevor duâs auflegst«, sagte sie zu Nestor und stellte die
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