Der verbotene Garten
eine zweiköpfige Ziege, eine Frau, um deren Leib sich eine Schlange wand, ein Mann, der sich ein langes silbernes Schwert in den Rachen steckte. SCHAUEN SIE ! Geheimnisvolle Wesen aus fernen, exotischen Welten! STAUNEN SIE ! Magisches und Schätze aus aller Herren Länder!
Während ich verzweifelt ein Gesprächsthema suchte, hatte sich Cadet nach einem Penny gebückt, der zwischen den Pflastersteinen steckte. Als er sich aufrichtete, streifte er meinen Rock mit den Fingern.
Mein Herz raste. Absicht oder Versehen? »Alice hat mir erzählt, dein Vater war Blutsauger«, begann ich meinen zweiten unbeholfenen Versuch, Konversation zu betreiben.
Cadet steckte sich den Penny in die Tasche. »Wohl wahr, bis zu seinem Tod.«
»Oh, das tut mir leid.« Ich fühlte mich entsetzlich.
»Ist zwei Jahre her«, sagte Cadet. »Und weiÃt du, was er als Letztes zu mir sagte? âºHoffentlich komm ich in den Himmel, dann kann ich dem Gabriel ein Ohr abbeiÃen.â¹ So war Pa.«
Ich fand die Vorstellung, dass ein Mann einem Engel ein Ohr abbeiÃen wollte, sehr komisch, doch Cadets Miene war düster, und ich wollte ihn nicht durch meine Reaktion verletzen, denn er hatte offenbar noch mehr zu sagen. Und so erzählte Cadet von Boxkämpfen, blutigen Visagen und von Rattenfängern, und ich lauschte hingerissen und hing an seinen Lippen.
Nach dem Tod seines Vaters hatte Cadet eine Zeit lang für Dick the Ratter gearbeitet. Cadet, damals klein und klapprig, war an all die gewundenen, engen Stellen gekommen, an die der Rattenfänger nicht gelangte. Cadet hatte sich, um die Ratten anzulocken, die Hände mit süÃem Ãl einreiben und dann mit einer Fackel herumfuchteln müssen, um die Plagegeister in den offenen Beutel des Fängers zu scheuchen.
»Wenn man sie erst mal hat, muss man den Sack ständig in Bewegung halten«, erklärte er und lieà einen unsichtbaren Beutel am Arm kreisen. »Sonst beiÃen sich die Viecher schneller wieder raus, als man es merkt.«
Es war anständige Arbeit gewesen, auÃerdem hatten Cadet und sein Boss mit den Ratten nicht nur einmal, sondern gleich zweimal Geld verdienen können. »Die schicken Hotels müssen ihre Rattenprobleme natürlich vertuschen, drum ist da als Fänger gutes Geld zu holen. Und dann verkauft man die Ratten weiter, an jemanden, der einen Konkurrenten aus dem Geschäft drängen will oder sie für Rattenkämpfe braucht. Mr. Burns hat den besten Preis gezahlt. Zehn Dollar für hundert Tiere, wenn es gute Ratten waren. Bei ihm konnte man wetten, welcher Hund zuerst eine Ratte fangen und totbeiÃen würde. Als sein bester Terrier, der alte Jack, gestorben ist, hat er ihn ausstopfen lassen und über der Bar aufgestellt. Der Hund hat einmal in knapp sieben Minuten hundert Ratten gefangen, das ist amerikanischer Rekord.«
Mr. Burns hatte offenbar alles Mögliche in seine Arena geworfen â Hähne, Hunde, Katzen und eben Ratten. Einmal waren es vier Dutzend Klapperschlangen gewesen, die irgendjemand extra aus dem tiefsten Westen mitgebracht hatte. »Ein Kerl namens Tinley hat dann Geld bekommen, damit er zwischen all den zischenden, gefährlichen Schlangen durchgeht, und die anderen haben Geld darauf gesetzt, ob er gebissen wird, und, falls er einen Giftzahn abkriegt, ob erâs überlebt. Eins steht fest, Männer wetten immer Geld auf Dinge, bei denen es um Leben oder Tod geht.«
Als Cadet gerade das Schicksal von Mr. Tinley schildern wollte, kam Mae mit einem groÃen Bündel aus der Apotheke. »Du erzählst Ada doch sicher von den Klapperschlangen«, sagte sie und reichte ihm das Päckchen. »Wie viele waren es denn diesmal, vier, fünf oder gleich sechs Dutzend?«
Cadet würdigte Mae keines Blickes und ging los.
Ich lieà sie ebenfalls stehen und lief ihm hinterher. »Und, ist er gestorben?« Bei der Vorstellung, dass sich unzählige Schlangen um meine FüÃe wanden, schauderte mir immer noch.
»Wer?«
»Der Mann, der zu den Schlangen musste.«
»Nein«, sagte Cadet grinsend. »Und viele Männer hassen ihn bis heute dafür.«
29. Oktober 1871
Heute Abend nahm ich an einem Treffen des New Yorker Komitees für Frauenangelegenheiten teil, Gastrednerin war Jane Clattermore, die Leiterin eines Heims für vagabundierende Mädchen.
Mich interessierte sehr, was sie zu diesem Fluch zu sagen hatte.
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