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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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gelegentlich wehte eine Woge Pferdemist herüber, vom Stiefel eines Arbeiters. Als sich der Wagen in Bewegung setzte, hielt ich mich an einer Stange fest. Ich griff absichtlich weit nach oben und stellte mich auf die Zehenspitzen, damit mein Rock nicht schmutzig wurde.
    Ein Mann in einer Manteljacke kam dicht neben mich. Sein grauer Bart war voller Tabakflecken, und ich musste wehrlos hinnehmen, dass er die Augen schloss und sein Gesicht meiner Hand annäherte; der Duft meines parfümierten Handschuhs trug ihn wohl an einen anderen, sehnsuchtsvollen Ort.
    Die Geschäftsmänner hingegen bemühten sich alle, mit den übrigen Passagieren möglichst wenig Berührung zu haben. Es war ein aberwitziges Getänzel, doch Mae, die den Männern um sie herum zulächelte und kokette Blicke zuwarf, wirkte im Zentrum all dessen recht zufrieden.
    Als die Straßenbahn vor der nächsten Haltestelle abbremste, stolperte Mae einem gut aussehenden jungen Mann in die Arme. Er trug einen eleganten Hut und Gehrock, seine langen, gepflegten Koteletten wiesen wie Pfeile auf Mundwinkel und volle, rote Lippen. Rechts neben der Nase saß ein so vollkommen runder Leberfleck, als hätte er ihn hingemalt. Mae streifte mit dem Gesicht seine Schulter, während er sie mit einem Arm an der Taille fasste, um sie aufzufangen. Mae hatte sich diesen Mann bestimmt bewusst herausgepickt, denn ich wusste ja, wie sie zum Polizeichef und den anderen Besuchern von Miss Everetts Haus stand.
    Der junge Mann war eindeutig Mae und ihrem Charme erlegen und plusterte sich auf wie Miss Keteltas’ grüne Vögelchen.
    Er machte Anstalten, an der nächsten Haltestelle auszusteigen, doch Mae ließ ihn nicht gehen, ohne ihr Interesse kundzutun. Mit dem Handschuh vor dem Mund flüsterte sie ihm zu: »Kontaktanzeige.«
    Als wir schließlich ausstiegen, eilte Mae an Cadets Seite und hakte sich bei ihm unter. »Ach, da bist du«, sagte sie mit Unschuldsblick. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.«
    Er ließ sie gewähren, doch seine verdrießliche Miene verriet, dass ihm nichts an ihrer Nähe lag. Vor lauter Freude achtete ich kaum noch auf die Fenster des Cafés oder die Herren, die dort saßen. Erst, als wir uns der Apotheke näherten, nahm ich die Umgebung wieder wahr.
    BRUNSWICK APOTHEKE stand in großen handgemalten Lettern auf dem Schaufenster. INHABER: WILTON HUBER.
    Als wir das Geschäft betraten, überflog ich Miss Everetts Liste. Scheidenpulver, Toilettenessig, Lavendelwasser, Makassaröl, Naturschwämme, Riechsalz, Bouquet de Rondeletia, Patschuli-Extrakt, Grosvenor’s Zahnpuder, Kirschwasser, Anisette . Es waren die Insignien von Frauen und insbesondere von Huren. Doch dieses Inventar machte mir nicht mein bevorstehendes Schicksal deutlich – dieser Tag schien mir immer noch so fern, so unvorstellbar. Mit dieser Liste verband sich ein Gedanke, der mir bisher nie gekommen war: Offenbar konnte sich ein Mädchen, mit Geschick und Überlegung, den Willen eines jeden zu eigen machen, ob nun Fremder, Freund oder Feind.

    Kamphersalbe und Chinin, Rosenmilch und Liebesöl – in den Regalen der Apotheke fand sich jeder nur vorstellbare Zaubertrank, in einem Universum aus vergilbten Globen und Weltkarten, zwischen exotischen Käfern, deren glänzende Körper von Nadeln aufgespießt waren, und unzähligen Gläsern, in denen goldgefleckte Fische schwammen.
    Zwar stand Mr. Hubers Name auf dem Fenster, doch Dienst tat ein James Hetherington. Er wirkte adrett und aufgeweckt, trug einen kurzen Spatenbart, und seine Augen waren so blau, als hätte sich ein dämmeriger Himmel dorthinein ergossen. Sein Scheitel war unordentlich und aufrichtig, nicht wie die verlogenen, geraden Linien, die so viele Männerköpfe in der Mitte teilten.
    Neben seinem Warenangebot aus Fläschchen und Gläsern mit Medizin, aus Seifen und Linimenten hingen zahlreiche Regale und Setzkästen voller toter Spinnen und Schmetterlinge in allen Farben dieser Welt. Offenbar wollte Mrs. Hetherington, falls es eine gab, die Sammelleidenschaft ihres Mannes nicht bei sich zu Hause sehen.
    Mr. Hetherington, in einer langen, frischen Schürze, die Hemdsärmel leicht aufgerollt, nickte Cadet zu. Dann begrüßte er Mae mit einem Lächeln. »Miss O’Rourke, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Mae bedeutete mir, Mr. Hetherington die Liste zu überreichen, und sagte:

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