Der verbotene Garten
Besucher.
Fast alle Männer, die ins Museum gingen, blieben auch vor mir stehen und schauten sich die Karten an. Viele kauften wenigstens eine oder zwei. Mr. Dinks menschliche Kuriositäten waren ziemlich beliebt. An den beinlosen Gestalten, den Echsenmännern, bärtigen Frauen, hundsgesichtigen Jungen und der Albinofamilie, darunter Sylvia LeMar, konnte sich kaum einer sattsehen.
Die gröÃte Aufmerksamkeit jedoch erregte Mr. Dinks Kollektion exotischer Schönheiten von nah und fern. Dies lag zum Teil daran, dass ich sie nur auf Nachfrage zeigte. Mr. Dinks hatte Dr. Sadie gebeten, ein geheimes Fach an den Rock zu nähen, das ein einfacher Zug an einem Band enthüllte. Das Fach war mit roter Seide gefüttert und der perfekte Platz für solche Wunder. »Männer gelüstet es nach dem Geheimnisvollen«, hatte Mr. Dink wissend gesagt.
Eines der Bilder zeigte Suzie Lowe als Lady Godiva. Sie saà auf einem groÃen dunklen Pferd, wandte dem Betrachter den Rücken zu, sodass ihre Brüste verborgen blieben, das lange Haar floss ihr über die Schultern. Ein Seidentuch war um die Taille drapiert, um alles AnstöÃige zu bedecken. Sie schaute den Betrachter über die Schulter direkt an, so als würde sie nur ihm ein Geheimnis verraten.
Mir war von allen verborgenen Karten die einer zirkassischen Schönheit am liebsten, einer jungen Frau in einem Meer aus Troddelkissen und Orientteppichen. Sie trug die Tracht ihrer Heimat; der Rock war bis über die Knie gezogen, der Ausschnitt reichte verführerisch tief an die Brüste. Das Auffallendste aber war ihr wildes, ungebändigtes Haar. Kein Kamm oder Band zähmte ihre Löwenmähne, die in ihrer Pracht über den Bildrand hinauszuwachsen drohte. Die unbekannte Schöne erinnerte mich an Mama in ihren besten Zeiten, und ihre stolze, drohende Haltung machte sehr deutlich, dass sie sich nicht bezwingen lassen würde.
Dies war auch Mr. Dinks Lieblingsbild. »Mit ihr habe ich einen der gröÃten Fehler meines Lebens gemacht«, gestand er. »Ich habe zugesehen, wie P. T. Barnum sie mir vor der Nase weggeschnappt hat. Ehe ich überhaupt den Mund öffnen konnte, hatte er ihr schon zweitausend Dollar gezahlt. Und dann gehöhnt, ich müsse ihm dreitausend zahlen, wenn ich sie wiederhaben wolle.«
Mr. Dink hatte selbst seinen Weg über Mr. Barnum gemacht: Seine Eltern hatten ihn schon mit zehn Jahren als Jahrmarktsattraktion preisgegeben. Kaum war Mr. Dink volljährig geworden, hatte er seinen Abschied von Mr. Barnum genommen. Der ältere Schausteller hatte Mr. Dink alles Gute gewünscht, doch nun herrschte eine gewisse Rivalität zwischen ihnen. Miss Eva hatte sich nach dem zweiten groÃen Feuer im Barnumâschen Museum zu Mr. Dink abgesetzt. Mr. Barnum hatte es ihm heimgezahlt, indem er bei der zirkassischen Schönheit schneller gewesen war.
»Und wo hatten Sie sie gefunden?«, wollte ich wissen. Gab es eine Geheimgesellschaft, die sich um das Engagement von Varietékünstlern kümmerte? »Die zirkassische Schönheit, meine ich.«
»Oh, so eine Frau wird nicht gefunden, mein liebes Mädchen«, sagte er. »So eine Frau wird gemacht.«
Weiter sagte er nichts, und ich bedrängte ihn nicht. Der sehnsüchtige Ausdruck, mit dem er auf ihre Karte schaute, hielt mich davon ab.
Jeden Morgen, bevor das Museum öffnete, nahm sich Mr. Dink eine Stunde lang Zeit und brachte mir alles Wissenswerte über die Schauspielerinnen, die anderen Persönlichkeiten auf den Karten und seine Darsteller bei. Dies wurde zum schönsten Teil des Vormittags. Die Geschichten zu all den Schaustellern, die Mr. Dink unter seine Fittiche genommen hatte, und die vielen Geheimnisse aus ihren Leben lieÃen mich Miss Everett und die Vorkommnisse in ihrem Haus vergessen. In seinem Metier gebe es auch genügend Skandal und Bitterkeit, aber, so versicherte mir Mr. Dink, »wir sind wie eine groÃe Familie, nur mit merkwürdigeren Talenten und Bindungen.«
Er brachte mir bei, welche Stars in der Gunst des Publikums ganz oben standen und wessen Glanz schon wieder verblich. Es war ihm wichtig, dass ich mir die Namen und Geschichten einprägte, damit ich den interessierten Herren genügend zu berichten wusste.
Anfangs machten mir die Männer und ihre Lüsternheit Angst. Respektable Herren, mit eleganter Uhr, Taschen voller Geld, sicher einer hingebungsvollen Frau und
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