Der verbotene Garten
verzerrt. Mit trockener Zunge und zitternden Händen lief ich davon.
Ein Bauch und einen Schlitz, Moth, mehr hast du nicht. Sieh zu, dass du beides gut und weise füllst.
Whistle, daughter, whistle
And you shall have a man.
Mother, I cannot whistle
But Iâll do the best I can.
Pfeif, Tochter, pfeif,
Und schon kommt ein Mann.
Kann nicht pfeifen, Mutter,
Doch ich tue, was ich kann.
XXIV
A uf dem Rückweg zu Miss Everett machte Dr. Sadie mit mir in ihrer Mansarde Halt, um das Kleid anzuprobieren. Sie begann sofort damit, die Truhe vor ihrem Bett auszuräumen â hervorkamen ein Paar seidener Hausschuhe, ein Stapel alter Ferrotypien, einige längliche, halb beendete Handarbeiten und eine Schachtel Briefe. Ganz unten, in ein groÃes weiÃes Laken eingewickelt, lag, wonach sie suchte.
Sie wiegte das Bündel in den Armen, hielt es an die Wange, schloss die Augen und lächelte. »Ich habe es am Abend meines siebzehnten Geburtstags getragen«, sagte sie. »Tante Charlotte hatte extra einen steinernen Springbrunnen für ihren Ballsaal kommen lassen, original aus Paris, und ein ganzes Orchester hat für mich meine Lieblingslieder gespielt.« Sie hielt mir das Paket entgegen. »Hier, probier es an.«
Die Farbe des Kleids war ein tiefes Smaragdgrün, der Rock bestand aus einer so zarten, weichen Seide, dass ich unentwegt mit den Fingern darüberstreichen musste. Das Oberteil hatte ringsum bestickte Glockenärmel, über die sich Blumenranken und Herzchen zogen, vom Bündchen bis zum Schulteransatz. Obwohl es nicht der allerneuesten Mode entsprach, war es von weit besserer Qualität als jedes Kostüm, Kleid oder Abendgewand aus der Hand von Miss Everett. Es war elegant und dennoch mädchenhaft, und ich brannte darauf, es zu besitzen.
Dr. Sadie half mir, es über den Kopf zu ziehen â doch es passte nicht. Es war zu lang und zu weit, die Fältchen am Hals rutschten mir über die Schultern, das Oberteil hing traurig an meiner Brust herunter. Ich zog den Stoff seitlich zusammen, bis das Kleid saÃ, und befand: »Perfekt.«
Dr. Sadie grinste nur. »Keine Sorge, das bekommen wir hin.« Sie nahm meine Hand und half mir auf die Truhe. Dann holte sie einen Nähkorb, klemmte sich Nadeln zwischen die Lippen, fand einen Fingerhut und begann ihr Werk.
Während sie das Kleid absteckte, bewunderte ich mein Spiegelbild in ihrem dunklen Fenster. Ich legte die Hände an mein Herz, wie das Mädchen auf dem Zettel des Mädchenheims, den ich damals in meinem Fass auf dem Dach verborgen hatte.
Dr. Sadie zupfte an einem Ãrmel. »Du musst schon stillhalten.«
So viel liebevolle Aufmerksamkeit war mir ganz fremd. Ich schaute hinunter auf Dr. Sadie und fragte mich, was dabei für sie heraussprang. Was wollte sie von mir? Mrs. Wentworth, Miss Everett, nicht einmal Mama hatten mir je etwas gegeben, ohne etwas zu erwarten. Mrs. Riordan war der einzige selbstlose Mensch, den ich kannte. Eine zweite Frau wie sie konnte sich die Welt bestimmt nicht leisten. Wenn ich Mr. Dink von Mrs. Riordan erzählen würde, würde er sie sicher aus der Chrystie Street holen lassen und ausstellen.
»Haben Sie hierin getanzt?« Ich war neugierig auf die Geheimnisse dieses Kleides.
»Aber sicher«, antwortete Dr. Sadie. »Je öfter ein Mädchen in einem Kleid tanzt, umso mehr Glück bringt es.«
»Glauben Sie, das Kleid birgt noch ein wenig Glück?«
Sie fasste den Stoff an den Schultern zusammen, steckte erst die eine, dann die andere Seite ab, sah mich an und sagte: »Ja, ich würde sogar sagen, eine ganze Menge.«
Das ist gut. Denn das werde ich brauchen.
Die zerfressenen, furchterregenden Modelle in Mr. Dinks Museum hatten mir, mit ihrer Ehrlichkeit und Entsetzlichkeit, viel über das Mysterium Mann offenbart. Selbst die gesunden Körperteile waren mir seltsam erschienen, und die Vorstellung, einem nackten Männerkörper nahe zu sein, fand ich schauderhaft.
»Wie ist es, ein Verhältnis mit einem Herrn zu haben?«, wagte ich die Frage hervorzustammeln, die mich seither beschäftigte.
Ohne aufzusehen, erwiderte Dr. Sadie: »Das hat Miss Everett dir doch erklärt, oder nicht?«
Eben nicht, und ich bezweifelte, dass sie es jemals tun würde. Zwar hatte ich Rose mit dem Polizeichef belauscht und Mama im Bett mit Mr. Cowan beobachtet, doch so real und schockierend das gewesen war, deutlicher hatte es
Weitere Kostenlose Bücher