Der verbotene Garten
mir die Dinge nicht gemacht.
Ich hatte noch keinen Ehering oder sonstigen Reif an Dr. Sadies Fingern gesehen, aber vermutlich lieà ihr Beruf das Tragen von Schmuck nicht zu. Ob sie jemals geheiratet hatte? Sicher steckte sie, wie auch ihr Kleid, voller Geheimnisse.
»Ist es immer abscheulich, laut und furchtbar?«, drängte ich. »Ich will es ehrlich wissen.«
Sie seufzte und drehte mich ein wenig zur Seite, um die erste Ãrmelmanschette abzustecken. »Ich hoffe doch sehr, dass dem nicht so ist.«
»Sie wissen es nicht?«
»Ich kann dir von der Liebe erzählen, aber von dem anderen weià ich nur, was in Anatomiebüchern steht.«
»Sie waren nie verheiratet?«
»Nein.«
»Aber Sie waren verliebt?«
»Ja.«
»Und sind es immer noch?«
»Das ist eine heikle Sache«, erwiderte sie und schloss die Augen, während sie nach den richtigen Worten suchte. »Meine Berufswahl hat meine Familie in groÃe Verlegenheit gebracht. Wenn ich meinem Herzen nun auch in Liebesdingen folgen würde, würde ich sie noch mehr verletzen.«
Wie konnte die Tatsache, dass sie Ãrztin geworden war â so selten und ungewöhnlich das für eine Frau auch sein mochte â, anderen Kummer bereiten?
Aber zu erfahren, dass selbst das Herz einer vornehmen, gebildeten Frau nicht immer bekam, was es wollte, tröstete mich doch.
»Also lieben Sie ihn immer noch?«, fragte ich.
Mit traurigen Augen und fahlem Gesicht sah sie zu mir auf. In ihrer Antwort lag tiefer Kummer: »Ja.«
Nachdem sie alles gekürzt und abgenäht hatte, saà das Kleid wie angegossen. Seine Unterröcke und der einfache Reifrock lenkten von meinen viel zu kleinen Brüsten ab, von meinen Erinnerungen an Mama, an Mrs. Wentworth und meiner Angst vor dem Mann, der mir bald begegnen musste.
AuÃer dem Kleid, so erfuhr ich, sollte ich ein Paar Engelsflügel tragen. Sie hätten einfach eines Morgens am Vordach des Museums gehangen, erzählte Mr. Dink, als er sie mir überreichte.
»War das ein schöner Anblick, so rein und weië, schwärmte er. »Wie die perfekte Weihnachtsgans im Fenster eines Fleischers.«
»Mr. Dink, Sie sind ein Lügner«, grinste ich.
Er winkte mich mit dem Finger nach unten. »Na schön, ich will Ihnen die Wahrheit sagen«, flüsterte er. »Sie haben einem Mädchen gehört, einer verflossenen Liebe von mir. Sie hat sich vor Miss LeMar um die Kaninchen und Tauben des Illusionisten gekümmert. Magnifico konnte sie aus einer Kiste heraus verschwinden lassen, mitsamt diesen Flügeln.«
Ich hörte es ungern, dass er sie geliebt und sich mit ihr entzweit hatte. Womöglich hatte er etwas so Schreckliches getan, dass er ihre Liebe nicht mehr verdiente.
»Wird sie die Flügel nicht zurückhaben wollen, falls sie mich damit sieht?«
»Nein«, sagte er mit trauriger Miene. »Sie ist tot, meine Liebe. Diphtherie.«
Ich versuchte, meine Erleichterung zu überspielen, schlieÃlich wollte ich nicht als hartherzig gelten. Dass die Flügel einer Toten gehört hatten, störte mich nicht. Mr. Dink tat mir leid, doch über die Flügel freute ich mich, und mehr noch, dass es niemanden gab, der sie mir streitig machen würde.
Von meinem Platz als Cartes-de-visite -Mädchen aus konnte ich die StraÃe und den gröÃten Teil der Eingangshalle gut überblicken.
Miss Eva Ivan saà am Kartenschalter gleich hinter der Tür. Sie hielt sich den Fächer halb vors Gesicht und zwinkerte den männlichen Besuchern mit den langen, flatterigen Wimpern ihres rechten Auges zu.
»Nur das Museum?«, gurrte sie den jungen Mann an, der gleich an meinem ersten Tag erschien, »oder bleiben Sie auch zur Vorstellung?«
Der junge Mann legte einen Vierteldollar auf die hölzerne Theke und schob ihn Miss Eva zu.
Sie strich über die Hand des Besuchers und gab ihm die Eintrittskarte. »Viel Vergnügen«, wünschte sie und schloss den Fächer.
»ScheiÃe«, fluchte der junge Mann, »kruzifixverdammt, Sie sind ja zur Hälfte ein Kerl!«
Miss Eva lachte, laut und dröhnend, tief und rau.
Der junge Mann schüttelte den Kopf, nahm seine Karte und bahnte sich den Weg ins Museum. »ScheiÃe«, sagte er noch einmal, als er an mir vorbeikam. »ScheiÃescheiÃescheiÃe.«
Miss Eva öffnete ihren Fächer und erwartete den nächsten
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