Der verbotene Turm
zerbrechlich, unsicher … Sie flüsterte: »Ich wünschte, ich hätte das über dich früher gewußt, Callie.«
»Ich wünschte, ich hätte es über mich selbst gewußt.« Callista lächelte traurig. »Wir werden nicht ermutigt, viel über diese Dinge nachzudenken oder über anderes außer unserer Arbeit. Ich fange erst an, mich als Frau zu entdecken, und ich … weiß nicht recht, wie ich damit anfangen soll.« Für Ellemir klang das wie ein unglaublich trauriges Geständnis. Nach einer Pause sprach Callista leise in die Dunkelheit: »Ellemir, ich habe dir von meinem Leben berichtet, was ich kann. Erzähle mir etwas von deinem. Ich will dich nicht drängen, aber du hast Liebhaber gehabt. Erzähle mir darüber.«
Ellemir zögerte, spürte jedoch, daß hinter der Frage mehr stand als einfache sexuelle Neugier. Die war auch da, und in Anbetracht der Art, wie Callista gezwungen worden war, in der Zeit als Bewahrerin diese Seite ihres Wesens zu unterdrücken, war es ein gesundes Zeichen und eine gute Vorbedeutung für ihre Ehe. Aber da war noch mehr, da war der Wunsch, an Ellemirs Leben in den Jahren ihrer Trennung teilzunehmen. Diesem Verlangen impulsiv entsprechend, sagte sie: »Es war in dem Jahr, als Dorian heiratete. Hast du Mikhail überhaupt kennengelernt?«
»Ich habe ihn bei der Trauung gesehen.« Ihre ältere Schwester Dorian hatte einen Nedestro -Cousin von Lord Ardais geheiratet. »Er kam mir wie ein freundlicher, redegewandter junger Mann vor, aber ich habe nicht mehr als ein paar Dutzend Worte mit ihm gewechselt. Ich hatte Dorian seit unserer Kindheit so selten gesehen.«
»Es war in jenem Winter«, fuhr Ellemir fort. »Dorian bat mich, den Winter bei ihr zu verbringen. Sie war einsam und bereits schwanger und hatte unter den Bergfrauen wenige Freundinnen gefunden. Vater gab mir die Erlaubnis, sie zu besuchen. Und später im Frühling war Dorian so schwer geworden, daß es ihr kein Vergnügen mehr machte, Mikhails Bett zu teilen. Da waren er und ich aber schon so gute Freunde geworden, daß ich ihren Platz dort einnahm.« Sie kicherte ein wenig in Gedanken daran.
»Du warst nicht älter als fünfzehn!« rief Callista erschrocken.
Ellemir antwortete lachend: »Das ist alt genug zum Heiraten. Dorian war nicht älter gewesen. Ich wäre auch verheiratet worden, wenn Vater nicht gewünscht hätte, daß ich zu Hause blieb und die Wirtschaft führte.«
Wieder spürte Callista den grausamen Neid, die verzweifelte Entfremdung. Wie einfach war es für Ellemir gewesen, und wie richtig! Und wie anders für sie! »Hat es andere gegeben?«
Ellemir lächelte in der Dunkelheit. »Nicht viele. Ich lernte bei Mikhail, daß es mir gefiel, bei einem Mann zu liegen, aber ich wollte nicht, daß über mich geklatscht werde wie über Sybil-Mhari, von der man sich skandalöse Geschichten erzählt. Hast du gehört, daß sie sich Liebhaber unter den Wachtposten oder sogar den Dienern sucht? Und ich wollte kein Kind austragen, das großzuziehen man mir nicht erlauben würde, wenn auch Dorian versprach, sollte ich Mikhail ein Kind gebären, werde sie es als ihres annehmen. Ebenso wenig wollte ich in aller Eile mit jemandem verheiratet werden, den ich nicht mochte, was Vater im Falle eines Skandals bestimmt veranlaßt hätte. Deshalb gibt es nicht mehr als zwei oder drei Männer, die sagen könnten, wenn sie wollten, sie hätten von mir mehr gehabt als einen Handkuß in der Mittsommernacht. Und Damon hat geduldig gewartet …«
Sie lachte leise, erregt. Callista streichelte das weiche Haar ihrer Zwillingsschwester.
»Jetzt ist das Warten fast vorbei, Liebes.«
Ellemir schmiegte sich eng an ihre Schwester. Sie spürte Callistas Ängste, den Widerstreit ihrer Gefühle, doch immer noch mißverstand sie deren Natur.
Sie hat das Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt , dachte Ellemir, sie hat ein von Männern abgesondertes Leben geführt. Da ist es kein Wunder, daß sie sich fürchtet. Aber einmal wird sie begreifen, daß sie frei ist, und Andrew wird freundlich und geduldig sein, und so wird auch sie ihr Glück finden … ein Glück wie meines … und Damons .
Sie standen in lockerem Rapport, und Callista folgte Ellemirs Gedanken, doch sie wollte ihre Schwester nicht beunruhigen, indem sie ihr sagte, daß es längst nicht so einfach war.
»Wir sollten schlafen, Breda . Morgen ist unser Hochzeitstag, und morgen Nacht«, setzte sie neckend hinzu, »wird Damon dich vielleicht nicht viel schlafen lassen.«
Lachend schloß
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