Der verbotene Turm
dann ein Kind erwartete und die Feste nicht genießen könnte! Das heißt, natürlich betrachte ich es nicht als Pech, wenn ich Damons Kind sofort bekäme.«
Callista schwieg. Sie dachte an die Jahre im Turm, wo sie ohne Bedauern, weil sie nichts davon wußte, alle Dinge beiseite geschoben hatte, von denen ein junges Mädchen träumt. Da sie diese Dinge nun in Ellemirs Stimme hörte, fragte sie zögernd: »Möchtest du sofort ein Kind?«
Wieder lachte Ellemir. »O ja! Du nicht?«
»Ich habe nicht darüber nachgedacht«, antwortete Callista langsam. »Es waren so viele Jahre, in denen Gedanken an Ehe oder Liebe oder Kinder mir fern lagen … Ich vermute, Andrew wird früher oder später Kinder haben wollen, aber mich dünkt, ein Kind sollte ich für mich selbst wünschen, nicht weil es meine Pflicht gegenüber unserm Clan ist. In der Zeit im Turm habe ich immer nur an die Pflichten gegenüber anderen gedacht, und jetzt glaube ich, ich muß ein wenig Zeit haben, nur an mich zu denken. Und an … an Andrew.«
Das war für Ellemir verwirrend. Wie konnte eine Frau an ihren Mann denken, ohne daß ihr Wunsch, ihm ein Kind zu schenken, im Vordergrund stand? Aber sie spürte, daß es bei Callista anders war. Jedenfalls, dachte sie mit unbewußtem Hochmut, war Andrew kein Comyn ; es war nicht besonders wichtig, ob Callista ihm gleich einen Erben gebar.
»Vergiß nicht, Elli, ich habe so viele Jahre geglaubt, ich werde überhaupt nicht heiraten …«
Ihre Stimme war so traurig und seltsam, daß Ellemir es nicht ertragen konnte. Sie sagte: »Du liebst Andrew, und du hast deine Wahl aus freiem Willen getroffen«, aber es deutete sich darin eine Frage an. Hatte Callista sich entschlossen, ihren Retter zu heiraten, nur weil dies das Einfachste zu sein schien?
Callista folgte dem Gedanken und erklärte: »Nein, ich liebe ihn. Ich liebe ihn mehr, als ich dir sagen kann. Aber es gibt da ein altes Sprichwort, von dem ich erst heute weiß, wie wahr es ist: Keine Wahl bleibt ganz ohne Reue. Jede Entscheidung wird an Freude und Leid mehr bringen, als wir vorhersehen können. Mein Leben kam mir unveränderbar vor und bereits klar geregelt. Ich würde Leonies Platz in Arilinn übernehmen und dort dienen, bis der Tod oder das Alter mich von der Last befreite. Und das schien mir auch ein gutes Leben zu sein. Liebe, Heirat, Kinder – das waren nicht einmal Tagträume für mich!«
Ihre Stimme zitterte. Ellemir stand auf und setzte sich zu ihrer Schwester auf die Bettkante. In der Dunkelheit ergriff sie ihre Hand. Callista machte eine unbewußte, automatische Bewegung, um die Hand wegzuziehen, und dann sagte sie kläglich mehr zu sich selbst als zu Ellemir: »Ich glaube, ich muß lernen, das nicht mehr zu tun.«
Ellemir antwortete sanft: »Es würde auch Andrew nicht gefallen.«
Sie spürte, daß Callista unter diesen Worten zusammenzuckte. »Es ist … ein Reflex. Es ist ebenso schwer, ihn mir abzugewöhnen, wie es war, ihn zu lernen.«
Impulsiv rief Ellemir aus: »Du mußt sehr einsam gewesen sein, Callista!«
Callistas Antwort schien aus einer verschütteten Tiefe heraufzukommen. »Einsam? Nicht immer. Im Turm sind wir uns näher, als du dir vorstellen kannst. Wir sind alle Teile eines Ganzen. Doch auch in diesem Kreis war ich als Bewahrerin immer abgesondert von den anderen, getrennt durch eine … eine Barriere, die niemand überschreiten konnte. Es wäre leichter gewesen, in Wahrheit allein zu sein.« Ellemir merkte, daß ihre Schwester gar nicht mit ihr sprach, sondern zu fernen, nicht mitteilbaren Erinnerungen, und etwas in Worte zu fassen versuchte, über das sie niemals hatte sprechen wollen.
»Die anderen im Turm konnten … konnten dieser Nähe Ausdruck verleihen. Sie konnten sich berühren. Sich lieben. Eine Bewahrerin erfährt doppelte Einsamkeit. Im Matrix-Kreis ist sie jedem Geist näher als die übrigen, und trotzdem ist sie für sie nie … nie ganz wirklich. Sie ist keine Frau, sie ist nicht einmal ein lebendes, atmendes menschliches Wesen. Nur … nur ein Teil der Schirme und Relais.« Sie hielt inne, in Gedanken wieder in jenem seltsamen, abgeschirmten, einsamen Leben, das sie geführt hatte.
»So viele Frauen versuchen es und versagen. Irgendwie geraten sie in Beziehung zu der menschlichen Seite der anderen Männer und Frauen im Turm. In meinem ersten Jahr in Arilinn sah ich sechs junge Mädchen mit der Ausbildung zur Bewahrerin anfangen und versagen. Und ich war stolz, weil ich das Training aushielt. Es ist
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